EIN HAUS AUS SAND UND NEBEL

Gewinn und Verlust
Ben Kingsley und Jennifer Connelly kämpfen gegen den sozialen Abstieg an

Vielleicht ist die Welt so organisiert. Dass immer, wenn einer etwas gewinnt, ein anderer etwas verlieren muss. Dass es keinen Besitz ohne Verlust gibt. Vielleicht ist das Schicksal keine göttliche, sondern einfach nur eine buchhalterische Angelegenheit. So wie in Vadim Perelmans markantem Regiedebüt Ein Haus aus Sand und Nebel, wo sich der Rechtsstreit um einen Bungalow zum existenziellen Kampf um persönliche Würde und sozialen Abstieg entwickelt.
Eigentlich gehört das Haus Kathy (Jennifer Connelly). Ein Leben lang hat ihr Vater die Schulden für das bescheidene Eigenheim in der nebligen Bucht von San Fransisco abgezahlt und es nach dem Tode der Tochter vermacht. Das Haus ist der einzige Fixpunkt, der Kathy in ihrem Leben noch geblieben ist. Mit ein paar Putzjobs hält sich die ehemalige Alkoholikerin gerade so über Wasser. Ihr Freund hat vor kurzem das Weite gesucht, und gerade hat die Verwandtschaft von der Ostküste ihren Besuch angekündigt.
Dann geht alles ganz schnell. Es klingelt, der Gerichtvollzieher heftet den Pfändungsbescheid an die Tür, ein freundlicher Polizist hilft beim Zusammenpacken. Die Briefe vom Finanzamt hatte Kathy nie geöffnet, und zwei Tage später wird das Haus schon versteigert.
Für ein Viertel seines Marktwertes erwirbt Massoud Behrani (Ben Kingsley) das Objekt. Unter dem Schah war Behrani ein hochdekorierter Colonel der Luftwaffe, bevor er vor der islamischen Revolution aus dem Iran fliehen musste. In den USA versuchte er den standesgemäßen Lebenswandel für seine Familie aufrecht zu erhalten. Dass Behrani, um den Luxus zu finanzieren, als Straßenbauer und Tankstellenverkäufer arbeitet und die mitgebrachten Ersparnisse bald aufgebraucht sind, ahnt niemand in der gut situierten persischen Exilgemeinde. Sein letztes Geld gibt er für den Erwerb der Immobilie aus und hofft, sie bald schon für das Mehrfache zu verkaufen. Für Behrani ist das Haus eine Investition in die Zukunft, und für Kathy ist es die letzte Verbindung zur Vergangenheit. Sie kämpft gegen die langsam mahlenden Mühlen der Justiz und wird dabei von dem freundlichen Polizisten Lester (Ron Eldard) mit nicht immer legalen Methoden unterstützt.
In Ein Haus aus Sand und Nebel verbindet Perelman die Studie über den amerikanischen Alltag, in den sich die Angst vor dem freien Fall durch die soziale Hierarchie tief eingeschrieben hat, mit der Schicksalsgetriebenheit einer griechischen Tragödie. Jede der Figuren scheint für sich nach ihren eigenen moralischen Maßstäben das Richtige zu tun. Und gerade daraus entsteht die Spirale der fatalen Ereignisse, die zum Kontrollverlust über das eigene Leben und zu einem Kampf zwischen den Kulturen führt.
Ein Haus aus Sand und Nebel (nach dem gleichnamigen Roman von Andre Dubus) ist bestes Erzählkino, das sich aus den Figuren und nicht aus den Formatvorlagen der Plotkonstrukteure entwickelt. Perelman setzt auf psychologische Genauigkeit und vermeidet jede falsche Emotionalisierung.
Drei Oscar-Nominierungen konnte der Debütfilm im letzten Jahr einsammeln. Eine davon für den begnadeten Ben Kingsley. Mit jeder Zelle seines Körpers scheint er sich dem gebrochenen Stolz seiner Figur verschrieben zu haben und wenn am Ende die Schleusen der Selbstkontrolle einbrechen, spült einen Kingsleys geballte emotionale Kraft fast aus dem Kinosessel heraus.

Martin Schwickert
A House of Sand and Fog USA: 2003 R: Vadim Perelman B: Vadim Perelman, Shawn Lawrence Otto nach einem Roman von Andre Dubus III K: Roger Deakins D: Jennifer Connelly, Ben Kingsley, Ron Eldard