HAUS DER SÜNDE

Freie Freier

Das Ende eines Oberklassen-Bordells als poetöse Doku-Soap

Die vielen möglichen Haltungen zu Bertrand Bonellos edelkitschigem Bilderbogen aus den Tagen um 1899 herum erkennt man schon an den Titeln des Films in verschiedenen Sprachen. In Frankreich hat das Haus einen Namen, L'Apollonide, auf Englisch heißt es "House of Tolerance", auf Deutsch hat sich irgendwer gegen das näherliegende "Haus der Freuden" entschieden. Schade eigentlich, denn wenn der Film eines transportiert, dann den Gedanken, bei den Salon-Bordellen fürs gehobene Bürgertum habe es sich möglicherweise um eine verlorene Kulturinstitution gehandelt.

Hier sind die Damen allesamt ansehnlich, tragen den ganzen Tag nette Nachtwäsche und finden den Dienst am Kunden bei aller Abhängigkeit von der Hausmutter doch selbstbestimmter als eine Anstellung in der Wäscherei.

Hier sind die Herren auch meistens nett, manchmal geradezu liebevoll, auch wenn einer so ganz nebenbei einem Mädchen die Mundwinkel aufschneidet, so dass sie kein Kunde mehr haben will und das Haus die "lachende Frau" als Hilfskraft mit durchschleppt. Und der Film sie als eine Art Joker gegen zu viel Boudoir-Schwüle einsetzen kann.

Von polizeilichen Ermittlungen ist nichts zu sehen, von Hass auf die fiesen Kerle auch nicht, fatalistisch spülen sich die Damen nach der Arbeit den Mund mit Kölnisch Wasser aus und räkeln sich in sorgsam arrangierten Haremsbildern zum dekorativen Wandteppich.

Es gibt keine Geschichte und kein Drama, es gibt aber Zeitsprünge, Split-Screens und 60er-Jahre-Musik. Und es gibt poetische Kraftakte, wie die weißen Tränen aus Sperma, von denen die Joker-Frau einmal phantasiert und die sie dann tatsächlich weint, als am ersten Bastille-Tag 1900 das Feuerwerk den Sturm des Volkes auf den Unterdrückungsapparat feiert.

Dass eine Schauspielerin am Ende im heutigen Paris auf dem Straßenstrich arbeitet, setzt die Zeit- und Wertverwirrungen der plotlosen Episoden aus einer Zwischenwelt fort. Damals war das Haus ein Gefängnis mit Sofas, heute ist die Freiheit ein Bordstein.

Wing

F 2011. L'Apollonide, souvenirs de la maison close. R + B: Bertrand Bonello K: Josée Deshaies D: Hafsia Herzi, Céline Sallette, Jasmine Trinca, Adèle Haenel, Alice Barnole, Iliana Zabeth, Noémie Lvovsky