HERZEN

Nette Hälften

Paarbeobachtungen von Alain Resnais

Die Filme von Alain Resnais haben immer etwas von einem Klassentreffen. Seit Jahren arbeitet der alte Hase der Novelle Vague mit den gleichen Schauspielern, und auch im Arsenal der Charaktere kommt es immer wieder zum Deja Vu. Der Immobilienmakler Thierry etwa, den André Dussollier in Resnais neuem Film Herzen spielt, ist unübersehbar ein Leidensgefährte des glücklosen Maklergehilfen, den Dussollier schon in Das Leben ist ein Chanson gespielt hat.
Thierry hat die schwierige Aufgabe übernommen, für Nicole (Laura Morante) und ihren trunksüchtigen Verlobten Dan (Lambert Wilson) eine gemeinsame Wohnung zu finden. Im ersten Appartement, das Nicole inspiziert, wurde ein Zimmer samt Fenster durch eine Wand in der Mitte geteilt, um die großherrschaftliche Wohnung als zwei Einheiten vermieten zu können. Der nutzlose halbierte Raum ist eine Metapher für den Seelenzustand der Figuren, die auf der Suche nacheinander immer wieder gegen unsichtbare Trennwände rennen.
Thierrys Arbeitskollegin Charlotte (Sabine Azéma) versorgt ihn neuerdings mit Videoaufzeichnungen von religiösen TV-Talkshows, in die am Ende gänzlich unchristliche Tanzeinlagen hineinmontiert sind. Thierrys Schwester Gaëlle (Isabelle Carré) gibt heimlich Kontaktanzeigen auf und glaubt ausgerechnet in Dan den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Der traurige Barkeeper Lionel (Pierre Arditi) lebt mit seinem schwer kranken, tobsüchtigen Vater zusammen, den Charlotte abends als ehrenamtliche Helferin betreut.
Basierend auf einem Theaterstück von Alan Ayckbourn buchstabiert Resnais in Herzen auf äußerst unterhaltsame Weise unterschiedliche Formen der Einsamkeit durch. In 54 knappen Szenen verbindet der melancholische Gefühlsreigen die taumelnden Seelen netzförmig miteinander, lässt sie gegenseitig ihr Schicksal beeinflussen, ohne die Figuren in ein aufgesetztes, dramatisches Handlungskorsett zu pressen. Die Innenräume sind sorgfältig stilisierend ausgestattet und wirken oft wie ein ironischer Kommentar zur seelischen Lage. Das Maklerbüro etwa, in dem Thierry und Charlotte über ihre vernebelten Gefühle rätseln, erstrahlt mit Halogenbeleuchtung, und gläsernen Schreibtischen im trendigen Transparenz-Design.
Auch wenn Resnais in Herzen nicht an die Originalität von Das Leben ist ein Chanson und Smoking/No Smoking heranreicht, sorgen der entschlackte visuelle Stil und die Genauigkeit der Figurenzeichnung für eine angenehme, in sich stimmige Seherfahrung.

Martin Schwickert

Coers. F/I 2006 R: Alain Resnais B: Jean-Michel Ribes nach einem Theaterstück von Alan Ayckbourn K: Eric Gautier D: André Dussollier, Sabine Azéma, Laura Morante, 120 Min.