»HILARY UND JACKIE«

Fiese Schwestern

Zwischen Musik und Schmalz

Ende der Sechziger Jahre eroberte die britische Cellistin Jacqueline du Prés die internationalen Konzertsäle im Sturm. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere erkrankte sie 1973 an Multipler Sklerose, mußte bald darauf das Cello-Spiel aufgeben und starb 1987. Als Hilary und Piers du Pré die Biographie ihrer Schwester 1997 veröffentlichten, ging ein Aufschrei der Empörung durch die britische Boulevardpresse. Von Verrat und Grabesschändung war da die Rede, und in der Tat wurde hier nicht mit intimen und denunzierenden Details gespart.
Regisseur Anand Tucker beschreibt entlang der Skandalbiographie die Karriere der Cellistin . Als Tochter einer biederen Mittelstandsfamilie glänzt Hilary schon in jungen Jahren als Querflötistin bei Nachwuchswettbewerben. Jackie eifert ihrer geliebten Schwester auf dem Cello nach und vertreibt diese schon bald vom musikalischen Familienthron. Nach einem Stipendium in Moskau beginnt Jackies Triumphzug durch internationalen Konzertszene. Hilary (Rachel Griffiths) dagegen zieht sich mit dem jungen Dirigenten Kiffer Finzi (David Morrissey) zurück aufs Land, um eine Familie zu gründen. Wieder eifert Jackie (Emily Watson) der Schwester nach und heiratet den weitaus berühmteren Dirigenten Daniel Barenboim (James Frain). Als die Ehe in die Krise gerät, sucht Jackie Zuflucht bei Hilary. Neidvoll blickt sie auf das Familienleben und bemächtigt sich schließlich des Schwagers.
Anand Tucker versucht der Einseitigkeit der literarischen Vorlage durch eine rasanten Perspektivwechsel in der Mitte des Films entgegenzutreten. Die erste Hälfte ist durch die subjektive Sicht Hilarys geprägt. Dann dreht der Film die Ereignisse noch einmal zurück, um sie durch Jackies Perspektive zu erweitern und die vormals eindeutigen Schuldzuweisungen zu relativieren. Zwischen Schwesternpsychogramm und schwülstigem Musikerinnen-Portrait wandelt Tuckers Hilary und Jackie unentschlossen hin- und her. Emily Watson ( Breaking the Waves ), als exaltiert-zerbrechliche Jackie und Rachel Griffiths als ihre eher bodenständige Schwester geben ein gutes Gegensatzpaar ab. Trotzdem scheut sich Anand Tucker offensichtlich, die Schwestern-Rivalität in all ihrer Bitterkeit zu zeigen. Immer wieder flüchtet er sich in den Orchestergraben, um den musikalischen Schauwert zu erhöhen, und schippert mit Jackies drohendem Tod schließlich ganz in die seichten Gewässer des allesversöhnenden Familiendramas.

Martin Schwickert