Huhn mit Pflaumen

Ein Leben wie im Comic

Nach »Persepolis« traut sich Marjane Satrapi mit gleicher Fabulierlust an einen Realfilm

Scheinbar mühelos ist Marjane Satrapi der Sprung von der Comic-Autorin zur Filmregisseurin gelungen. Der Zeichentrickfilm Persepolis, in dem Satrapi aus ihrer Kindheit im Iran und der Jugend im europäischen Exil erzählte, überzeugte durch seine klare Form, in der Emotionen und Zeitgeschichte präzise verdichtet wurden. In Huhn mit Pflaumen geht Satrapi gemeinsam mit ihrem Co-Regisseur Vincent Paronnaud einen Schritt weiter und inszeniert ihre eigene Graphic Novel als Realfilm.

Aber was heißt schon real in der fantastischen Satrapi-Welt? Der Film spielt zwar im Teheran der fünfziger Jahre, aber die Erzählerstimme kennzeichnet die Geschichte gleich als märchenhafte Begebenheit, und auch die kunstvoll gestaltete Gassenlandschaft der persischen Metropole läßn keinen Zweifel an der ganz und gar nicht realistischen Herangehensweise des Filmes zu. Huhn mit Pflaumen erzählt vom Schicksal des gefeierten Violinisten Nasser-Ali Khan, der sich ins Bett legt, um zu sterben, nachdem seine Frau Faringuisse im Ehestreit die geliebte Geige zerschlagen hat. Acht Tage dauert es vom Entschluss bis zur Beerdigung, und in dieser Zeit lässt Nasser-Ali sein Leben und vor allem seine unglückliche Liebe zur schönen Irâne noch einmal Revue passieren.

Unsterblich hatte er sich in die Tochter des Uhrmachers verliebt, aber der Vater stimmte der Ehe mit dem brotlosen Künstler nicht zu. Mit gebrochenem Herzen kehrte Nasser-Ali zurück zu Geige und Bogen und findet genau jene melancholische Kraft in seiner Musik, die ihn zum größten Violisten der Welt aufsteigen lässt. "Das Leben ist ein Seufzer", sagt sein Lehrer zu ihm, "Du musst ihn in dir aufnehmen".

Das könnte auch das künstlerische Motto des Filmes sein, der sich als herzzerreißendes Melodram versteht, aber der Melancholie mit seinem enormen, visuellen Ideenreichtum Flügel verleiht. Auch in Satrapis ersten Live-Action-Film verschmelzen Comic und Kino zu einer Kunstform. Mit einfachen, klaren Strichen werden die Emotionen der Figuren gezeichnet und die melodramatischen Gefühle gleichzeitig mit liebevollem Humor konterkariert. In den Realfilm schleichen sich immer wieder animierte Szenen ein, in denen die Erzählung gerafft wird oder spielerisch ins Surreale ausbricht. Da geht aus dem Kronleuchter auch schon mal ein Sternenregen nieder oder die Kamera begleitet eine Schneeflocke, die aus dem Himmel direkt in dem Mund eines Kindes fällt. Dann wieder sieht man Chiara Mastroianni, die als Schwester des lebensmüden Violinisten die Ereignisse kommentiert, am Pokertisch in einer verrauchten Kneipe sitzen, als wäre sie gerade einem Film Noir entstiegen.

Es ist eine wilde Stilmischung, die Satrapi und Paronnaud in ihren vollkommen durchkomponierten Bildern zu einem eigenen Stil verbinden. Am ehesten ist der Film noch mit den Werken von Jean-Pierre Jeunet (Die fabelhafte Welt der Amélie) zu vergleichen, auch wenn hier die Dichte der originellen Einfälle weniger hoch ist und sich dem melancholischen Erzählfluss anpasst.

Besonders in visueller Hinsicht ist Huhn mit Pflaumen ein echter Genussartikel. Das gilt auch für die Schauspieler. Ohne in die Stilisierung abzurutschen arbeitet Mathieu Amalric den Comic-Charakter mit in seine Figur ein. Sein lebensmüder Violinist dürfte wohl einer der attraktivsten Trauerklöße der Filmgeschichte sein, dem mit Golshifteh Farahani eine Traumfrau von herzzerreißender Schönheit gegenüber gestellt wird.

Martin Schwickert

Poulet aux prunes F/D/B 2011 R&B: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud D: Mathieu Amalric, Edouard Baer, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani