ICH BIN DIE ANDERE

Melo-Dame

Frau Trotta wäre gern Herr Fassbinder, Frau Riemann wär' gern irgendwas...

Wenn eine renommierte deutsche Filmemacherin wie Margarete von Trotta das Skript des renommierten Fassbinder-Drehbuchautoren Peter Märthesheimer verfilmt und dafür solch renommierte Schauspieler wie Armin Müller Stahl und Karin Dor vor die Kamera treten, dann riecht das sehr nach einem Klassentreffen der alten Garde des Neuen Deutschen Films.
Wie der Titel andeutet, erzählt Ich bin die Andere von einer Frau mit (mindestens) zwei Gesichtern. Mit platinblonder Perücke und tiefdekolletiertem signalroten Kleid stöckelt Katja Riemann als Carlotta durch die schummrige Hotelbar. Als der Portier die vermeintliche Prostituierte vor die Tür setzen will, nimmt der junge Ingenieur Robert Fabry (August Diehl) die zweifelhafte Dame mit aufs Zimmer und verbringt mit ihr die Nacht.
Am anderen Morgen ist Carlotta verschwunden. Wenig später steht sie ihm als Anwältin Carolin Winter bei einem Geschäftstermin gegenüber. Die schicke Juristin kann sich scheinbar nicht mehr an ihn erinnern, aber Robert kann die geheimnisvolle Schöne nicht vergessen. Er folgt ihr zum elterlichen Winzeranwesen im Rheingau, wo er Bekanntschaft mit dem im Rollstuhl befindlichen Vater (Armin Mueller-Stahl), dessen Mätresse Fräulein Schäfer (Barbara Auer), der alkoholabhängigen Mutter (Karin Dor) und dem stummen Gutsverwalter Bruno (Dieter Laser) macht.
Die Plakativität der Figuren, mit der das Neue Deutsche Kino damals das Establishment herausforderte, hat seine provokative Kraft verloren. Obwohl Margarete von Trotta und Katja Riemann ihre schizophrene Protagonistin verzweifelt mit der Aura des Geheimnisvollen umgeben wollen, werden die Entwicklung der Charaktere in erschütternder Vorhersehbarkeit ausgebreitet. Während Katja Riemann als Heilige, Hure und Karrierefrau mindestens von zwei Segmenten der multiplen Persönlichkeiten überfordert scheint, kann auch die messerscharfe Performance von Armin Mueller-Stahl der Vaterfigur keine Differenzierungen abringen, die das Drehbuch nicht vorgesehen hat.

Martin Schwickert

D 2006 R: Margarete von Trotta B: Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich K: Axel Block D: Katja Riemann, August Diehl, Armin Mueller-Stahl, Karin Dor