IDENTITÄT

Menschen im Hotel

James Mangold wollte einen ganz anderen Thriller drehen

Wer bin ich - und wie viele? Das die erste Frage im Zentrum eines Filmes steht, der Identität heißt, liegt nahe. Dass die zweite hinten an folgt, klärt sich im letzten Drittel des neuen Werkes von James Mangold, der einst mit einem bravourösen Cop Land in der Kinolandschaft reüssierte und sich als Meister des intelligenten Krimis empfahl.
Intelligent ist das Stichwort. Mangold wollte einen Thriller drehen, dessen Handlung sich plötzlich um 180 Grad dreht, dessen Höhepunkt alles zuvor Gesehene in ein neues Licht rückt, einen cleveren Schocker, über den man redet. Überambitioniert clever ist Identität in Wahrheit geworden. Irgendwann wird dem Zuschauer schwindlig und der Plot büßt trotz Hauen, Stechen und Schießen an Fahrt und leider auch an Glaubwürdigkeit ein.
Die erste Hälfte des Filmes funktioniert als düsteres Ratespiel sehr gut. Da erleben wir einen engagierten Kriminal-Psychologen (Alfred Molina), der einen zum Tode verurteilten Serienkiller wegen Unzurechnungsfähigkeit aus der Todeszelle herausholen will. Dann schneidet der Film auf ein vom Unwetter heimgesuchtes und deswegen von der Außenwelt abgeschnittenes Motel, in dem zehn Insassen versuchen, die Nacht zu überstehen - oder besser: zu überleben.
Einer nach dem anderen wird auf bestialische Art und Weise ermordet. Agatha Christie und ihre Zehn kleinen Negerlein lassen grüßen. Die kleine Fabel ist den im Motel Festgesessenen nicht unbekannt. Fieberhaft suchen ein Limo-Chauffeur (John Cusack) und ein Polizist (Ray Liotta) den Schuldigen und nach gemeinsamen Spuren in der Vergangenheit. Was die Nutte, das frisch verheiratete Pärchen, die Kleinfamilie, den Strafgefangenen, die abgehalferte Schauspielerin, den Motel-Besitzer und besagte Ermittler einigt, bleibt aber völlig im Dunkeln - bis der nächste Akt kommt.
Jetzt gerät die Geschichte auf eine schiefe Bahn: Entweder man nimmt Mangold die Achterbahnfahrt bedingungslos ab oder sitzt tief enttäuscht im Kinosessel. Immerhin reichen sich bis zu diesem Zeitpunkt ein packender Film Noir und ein gespenstischer Psycho-Thriller die Hand. Dann kommt so etwas wie der David Lynch-Faktor mit ins Spiel und zerfasert buchstäblich die Identität.
Cusack und Liotta spielen dabei ihre Paraderollen gegeneinander aus: der melancholische Kämpfer mit dem Dackelblick gegen den Haudrauf mit der Boxerfresse. An den anderen Gesichtern sieht man sich schnell satt, auch weil der Regisseur Sympathiezuweisungen durch ständiges Abmetzeln erschwert. In solchen Momenten wirft Identität die einzig spannende Frage auf: Wer ist der nächste?

Ulf Lippitz

Identity. USA 2003 R: James Mangold B: Michael Cooney K: Phedon Papamichael D: John Cusack, Ray Liotta, Amanda Peet, Alfred Molina