Ihr werdet euch noch wundern

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Alain Resnais bespiegelt sein Werk

Werden Sie mich sehr unglücklich machen?" fragt Eurydike den Mann, in den sie sich soeben unsterblich verliebt hat. So wie sie den Satz ausspricht, schwingt hier keine Angst, sondern eher Hoffnung mit, weil beide Beteiligten wissen, dass zur wahren Liebe das Unglück dazu gehört. Erst recht wenn man sich in einer Variation einer griechischen Tragödie befindet. Gespielt wird hier "Eurydike" des gefeierten Theaterautors Antonie d'Anthac und das gleich in dreifacher Ausfertigung. Oben auf der Leinwand läuft das Probenvideo einer jungen Schauspieltruppe, deren Inszenierung zur Begutachtung ansteht. Unten im Saal sitzen Schauspieler verschiedener Generationen, die das Stück über die Jahrzehnte immer wieder gespielt haben. Sie alle wurden vom soeben verstorbenen Autor in sein Landhaus geladen, der sie per Videobotschaft dazu auffordert, darüber zu entscheiden, ob die moderne "Eurydike" den Segen des Verfassers bekommen soll. Schon nach wenigen Sätzen stimmen die Schauspieler ein, sind wieder selbst Gefangene des Textes und spielen das Stück auf ihre verschiedenen Weisen mit. "Ich liebe dich" hallt es dreimal durch den Saal und das Schicksal nimmt in mehreren gleichberechtigt nebeneinander stehenden Variationen seinen Lauf.

Erneut lässt der französische Altmeister Alan Resnais (Smoking/No Smoking/Vorsicht Sehnsucht) die Grenzen zwischen Theater und Film ineinanderfließen und baut ein Spiegelkabinett auf, in dem sich mit Mathieu Amalric, Pierre Arditi, Sabine Azéma, Jean-Noël Brouté, Anne Consigny, Anny Duperey, Hippolyte Girardot, Gérard Lartigau, Michel Piccoli und Lambert Wilson die Crème de la Crème der französischen Schauspielkunst mit sichtbarem Vergnügen versammelt hat.

Die theatrale Tragödie, in der dem vergänglichen Wesen der Liebe auf den Grund gegangen wird, vermischt sich hier mit einer cineastischer Verspieltheit, in der Film-im-Film- und Splitscreen-Elemente eingesetzt und die Variationen ein und derselben Geschichte neben- und übereinander gelegt werden. Augenzwinkernder Humor, großes Drama und sanfte Melancholie liegen hier ganz dicht beieinander und man kommt nicht umhin daran zu denken, dass dieser Film möglicherweise das würdige Abschiedsgeschenk des mittlerweile 90jährigen Regisseurs ist, der sich Vitalität und Eigensinn in seinem Werk ein Leben lang bewahrt hat.

Martin Schwickert

Vous n'avez encore rien vu F /D 2012 R: Alain Resnais B: Laurent Herbiet, Alex Révali K: Eric Gautier D: Mathieu Amalric, Pierre Arditi, Sabine Azéma