IL DIVO

Mit stoischer Gelassenheit

Der Versuch, sich dem Phänomen Giulio Andreotti zu nähern, überzeugt vor allem formal

Buckel, monströse Brille, steinerne Mimik und riesige abstehende umgeknickte Ohren - die Karikaturisten hatten es mit Giulio Andreotti immer leicht. Wahlweise "Der Göttliche" oder "Beelzebub" wurde der siebenmalige italienische Ministerpräsident genannt, der die Nachkriegsgeschichte seines Landes fünfzig Jahre lang geprägt hat. Zu der Mehrfachpräsidentschaft kommen noch fünfundzwanzig Ministerämter, die Andreotti während seiner politischen Karriere bekleidet hat.

Und auch heute noch nimmt der 90jährige als Senator auf Lebenszeit an Parlamentssitzungen teil. Der Christdemokrat unterhielt exzellente Verbindungen zum Vatikan, zur Geheimloge P2 und zur Cosa Nostra. Neunundzwanzig mal war Andreotti wegen Begünstigung der Mafia angeklagt und wurde ebenso oft wieder freigesprochen.

Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino hat sich in seinem Film Il divo der grauen Eminenz der italienischen Politik angenommen. Aber wie nähert man sich filmisch diesem Mann, der wie kein anderer die Verflechtung von Politik, Macht und Kriminalität in Italien symbolisiert? Fundierte Dokumentation, Satire, Politthriller? Sorrentino hat sich für ein sehr eigenwilliges Verfahren entschieden, in dem Farce, Fakten und surreale Stilelemente wild miteinander vermischt werden. Die Rasanz, mit der Il divo durch die Zeitgeschichte rast und Krisen, Komplotte, Korruption, Mord und Totschlag ineinander verschlingt, steht in ironischem Kontrast zum scheinbaren Stoizismus der Hauptfigur.

Wie versteinert spielt Toni Servillo den emotionslosen Machtmenschen, der weder für seine Frau noch für seinen Hofstaat ein persönliches Wort übrig hat und mit kalter politischer Präzision im Land die Fäden zieht. Nur die Ermordung Aldo Moros durch die Roten Brigaden, mit denen Andreotti jegliche Verhandlungen abgelehnt hatte, raubt dem Ministerpräsidenten gelegentlich den Schlaf.

Für das nichtitalienische Publikum sind das Feuerwerk an prominenten Namen und der wilde Ritt durch die politische Skandalgeschichte des Landes, allerdings nur begrenzt nachvollziehbar. Dennoch birgt die visuelle Auflösung auch für weniger Bewanderte genügend cineastische Spannkraft. Da rast etwa ein Skateboard die lang gezogenen Gänge entlang mitten durch das italienische Parlament zum Fenster hinaus und verwandelt sich im Flug in das explodierende Auto des Untersuchungsrichters Giovanni Falcone, der gegen die Mafia ermittelte. Solche Bilder wiegen mehr als mit tiefem Ernst vorgetragene Anklageschriften, denen sich Sorrentino konsequent verweigert, ohne die politische Brisanz des Stoffes zu entschärfen.

Martin Schwickert

I 2009 R: Paolo Sorrentino K: Luca Bigazzi D: Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Giulio Bosetti