IM NEBEL

Keine Chance

Der vermutlich langsamste Film der Welt

Minutenlang stromert die Kamera durch ein russisches Dorf zur Zeit der deutschen Besatzung. Die Hühner picken, die Kinder spielen, die Erwachsenen gehen ihrem alltäglichen, ärmlichen Leben nach, streiten sich, balgen sich, erzählen sich Witze. Mitten hindurch führen deutsche Soldaten eine Gruppe Gefangener zur Hinrichtung, aber niemand nimmt Notiz. Erst recht nicht die Kamera, die geradezu aggressiv unbeteiligt wegguckt. Wird da die Gewalt im Ungezeigten besonders sichtbar? Oder erkennen wir an der ausbleibenden Reaktion der Bewohner ihren Gleichmut, ihre Erschöpfung, ihre Entmenschung in Zeiten des Krieges?

Der Regisseur Sergei Loznitsa läßt uns immer wieder mit solchen Fragen allein vor seinen ausgeklügelten Bildern stehen, die etwa Minuten lang sonnendurchfluteten Wald zeigen, und zwei Partisanen, die aus dem Bild starren und sich einsilbig schleppend darüber unterhalten, dass sie nun ja wohl endlich ihr Ziel erreicht hätten. Welches Ziel, sehen wir nicht, und können es uns auch erst im Nachhinein zusammen reimen, wenn Loznitsa mit langen Rückblenden eine Ahnung von Konflikt unter die Atmosphäre hebt, langsam und für jeden Protagonisten getrennt.

Nach einem Partisanenanschlag fangen die Deutschen ein paar Verdächtige zum Aufhängen, darunter auch einen Unbeteiligten. Perfiderweise lassen sie den aber unterm Galgen laufen, was ihn als Kollaborateur verdächtig macht und bei den Partisanen auf die Abschussliste bringt. Nun jagen also heldenhafte Widerständler irrtümlich einen, der sich weigerte, für die Deutschen zu arbeiten, also eigentlich einen von ihnen. Und kaum eine Stunde und 20 Schnitte später (tatsächlich wechselt der Film über die ganze Laufzeit nur 72 mal das Bild) erfahren wir, dass die rächenden Helden gar nicht so sicher zu derselben Seite gehören. Man kann Partisan aus Mut und aus Feigheit sein.

Und man kann sich einen großen Teil des Films auf einer Bühne vorstellen. Stehen drei Männer im Wald und reden darüber, wer wen warum erschießen sollte, bedrohen sich fälschlich, retten sich trotzdem und sind am Ende tot. Falls uns nicht der Nebel täuscht, in dem der sonst schmerzhaft deutlich nichts zeigende Film dann versinkt.

Wing

D / R / L 2012. R + B: Sergei Loznitsa K: Oleg Mutu D: Vladimir Svirski, Vlad Abashin, Sergei Kolesov