I'm still here

Ich kann Rapper!

Joaquin Phoenix will nie wieder Filme machen - und dreht einen wunderbar schrägen Film darüber

Als bärtiger Zausel stromerte er durch Hollywood in seiner riesigen Limousine, Haare und Vollbart strubbelig zerzaust, die Klamotten offensichtlich seit längerer Zeit ungewaschen, das Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verborgen: Das große Jungtalent Joaquin Phoenix, geliebt und geachtet für seine Johnny Cash-Performance in Walk the Line und gerade im Kino wieder gefeiert für Two Lovers, geisterte 2009 durch die Presse als der Mann, der ausgestiegen war. Ein geisterhafter Auftritt in der Letterman Show und zahlreiche wirre Interviews bescherten ihm immerhin eine 1-A-Parodie durch Ben Stiller bei der Oscar-Verleihung, und wenn er das TV-Studio für Interviews betrat, standen Fans und Reporter schon da und buhten ihn aus.

Joaquin Phoenix hatte öffentlich verkündet, er habe genug von der Schauspielerei und wolle fortan (unter dem Kunstnamen "JP") Rapper werden. Sein Schwager Casey Affleck (zuletzt in The Killer inside me zu sehen) dokumentierte diesen krassen Rückzug in diesem Film.

Das Portrait des Künstlers als junges Arschloch ist vor allem ein Anlass zum permanenten Fremdschämen. Nicht nur, dass Phoenix, für jedermann offensichtlich, überhaupt nicht singen oder rappen oder auch nur texten kann, er nervt seine Umgebung durch großkotzige Auftritte, in denen er betont, jetzt endlich "sich selbst" präsentieren zu wollen. Er sei kein Papagei, der fremder Leute Texte nachplappern müsse, und ob das dem Rest der Welt gefalle, sei ihm vollkommen egal. Er nimmt Kontakt zu Rap-Produzenten auf und spielt ihnen seine Demo-CD vor. Die sanft entgleisenden Gesichtszüge des legendären Produzenten Sean "P .Diddy" Combs, als er die "Talentproben" von Phoenix zum ersten Mal anhört, gehören dabei zu den großen Momenten dieser an Peinlichkeiten nicht eben armen Mockumentary.

Phoenix bekommt einen Gastauftritt in Vegas (wo sich das Publikum halb totlacht), er versackt in der Letterman Show, er geht Journalisten sehr aggressiv an, die ihm erzählen, man rätsele in der Branche darüber, ob das nicht alles ein großer Bluff sei, ein Joke. Phoenix, stocksauer: "Are you telling me, my life is a joke?!"

Auch in den schwärzesten Momenten folgt ihm die scheinbar dokumentarische Kamera, etwa wenn er sich ausheult, niemand nehme ihn mehr ernst und er könne nach seinen großen Sprüchen doch nicht zum Film zurück und er habe alles versaut.

Tatsächlich ist I'm still here eine großartige Studie in Wahnsinn, Einsamkeit und Egomanie. Der angeblich große Künstler, der der Welt so viel zu geben hat, wird als talentloser Schmock entlarvt, ein armes Würstchen, dem niemand zu widersprechen wagt - ganz eindeutig des Geldes wegen.

Phoenix hat sich selbst ins Haifischbecken geworfen und dann die Kreise beobachtet, die dabei entstehen. Seine schlecht gelaunte Ernsthaftigkeit, gepaart mit völliger Talentlosigkeit, was Musik betrifft, ergibt zwar eine zeitweise erstaunte Öffentlichkeit. Aber, und da hat er wohl mehr erwartet, ernst genommen hat ihn in der Rolle des angeblichen Rap-Genius niemand.

Die Liste der Stars, die er zu (manchmal nur sekundenlangen) Gastauftritten überreden konnte, klingt dabei wie eine Großproduktion: Jack Nicholson, Danny Glover, Billy Crystal, Bruce Willis und Danny DeVito sind zu sehen, ohne dass wir wissen, ob sie wissen, in was sie hier reingezogen werden. Zweifellos inszeniert und wunderschön in seiner absurden Leere ist ein Gastauftritt von Edward James Olmos, dem alten Commander der "Battlestar Galactica". Seine väterliche Beraterstunde im Zwiegespräch mit dem ausnahmsweise mal hellwachen Waldschrat Phoenix gehört zu den ganz großen Brüllern dieses eigentlich leisen Films, der wunderbar vulgäre Momente hat.

Für zwei Jahre war Phoenix "ausgestiegen". Der Film über einen irren und größenwahnsinnigen Schauspieler, der gerne Sänger wäre, ist dabei so böse und unterhaltsam wie etwa Mann beißt Hund. Jetzt hat Phoenix seine Arbeit als Schauspieler wieder aufgenommen. Er dreht zur Zeit für Thomas Paul "Magnolia" Anderson, zusammen mit Philip Seymour Hoffman.

Thomas Friedrich

USA 2010 R: Casey Affleck B: Joaquin Phoenix, Casey Affleck K: Casey Affleck, Magdalena Gorka Bonacorso D: Joaquin Phoenix, Antony Langdon, Carey Perloff, Larry McHale