In einer besseren Welt

Rules of Engagement

Ein ebenso intelligenter wie spannender Film über Formen der Gewalt

Der Weg vom Fahrradständer über den Schulhof hin zum Klassenraum ist für Elias (Markus Rygaard) die tägliche Hölle. Eine Bande von Mitschülern fängt ihn regelmäßig ab, schubst ihn herum, beschimpft und schlägt ihn, wohl wissend, dass der introvertierte Junge sich nicht wehren wird. Aber dann kommt Christian (William J›hnk Nielsen), der gerade mit seinem Vater von London zurück nach Dänemark gezogen ist. Er kennt sich aus mit Schulhof-Mobbern, und als der Peiniger sich am nächsten Tag wieder an Elias heran machen will, geht Christian dazwischen, schlägt ihn brutal mit der Luftpumpe zusammen und droht sogar mit einem Messer.

Der kurze Ausbruch heftiger Gewalt ist der Anfang einer Freundschaft mit fatalen Konsequenzen und legt gleichzeitig das thematische Fundament für die vielschichtige Erkundung männlicher Gewaltstrukturen in Susanne Biers In einer besseren Welt.

Als der Vater ihn aus dem Zimmer des Schulleiters abholt, verteidigt Christian sein Vorgehen, das zur Abschreckung diene und tatsächlich auch weitere Belästigungen verhindert. Dass Christian nicht nur als Beschützer, sondern auch als Aggressor aufgetreten ist, der die eigene Wut auf den Vater und die Trauer über den Verlust seiner kürzlich verstorbenen Mutter mit der Gewalttat kompensiert, ahnt Elias nicht. Er ist froh über den neuen Freund, der für ihn einsteht, denn zu Hause bricht gerade der familiäre Halt auseinander. Die Eltern haben sich getrennt. Seine Mutter Marianne (Trine Dyrholm), die den Seitensprung ihres Mannes nicht verzeihen kann, kämpft wie eine Löwin für den Sohn und spürt doch deutlich, dass sie allein einfach nicht genug ist.

Elias Vater Anton (Mikael Persbrandt) ist oft für Monate außer Landes und arbeitet als Arzt für eine humanitäre Hilfsorganisation in einem afrikanischen Bürgerkriegsland. Anton ist überzeugter Pazifist und hat seinen Sohn auch so erzogen. Als er mit Elias und Christian unterwegs ist, schlichtet er einen harmlosen Spielplatzstreit und gerät dabei selbst in Konflikt mit einem Vater, der ihn beschimpft, herumschubst und ihm Prügel androht. Anton lässt sich nicht darauf ein, weil er den Jungen ein Vorbild sein will. Aber die beiden legen sein Verhalten als Feigheit aus und schmieden einen eigenen Racheplan mit dramatischen Folgen. Wieder in Afrika gerät auch Anton an die Grenzen seiner Friedfertigkeit, als ein Warlord, der für zahlreiche bestialische Massaker in der Gegend verantwortlich ist, um ärztliche Versorgung bittet.

Sehr differenziert erforschen Susanne Bier und ihr langjähriger Drehbuchautor Anders Thomas Jensen, die schon zusammen Open Hearts, Brothers und Nach der Hochzeit realisiert haben, die Ursachen, Selbstlaufmechanismen und Folgen von gewalttätigem Handeln. Ausgehend von der emotionalen Gemengelage der Vorpubertät, erweitert In einer besseren Welt den vorurteilsfreien Blick auf die Generation der Väter, denen die familiären Sicherheiten entgleiten, und findet sogar den Weg in ein afrikanisches Bürgerkriegsland, in dem sich männliche Machtfantasien brachial entladen.

Mit einer erstklassigen Schauspielerriege und in atemberaubend klaren, sinnlichen Bildern untersucht Bier die Mechanismen der Gewalt auf dem Schulhof, im familiären Alltag und in kriegerischen Auseinandersetzungen.Sie zeigt die persönliche Fragilität, aber auch die Monstrosität der Täter und entwickelt in der dynamisch erzählten Geschichte eine dramatische Wucht und analytische Schärfe, wie man sie nur höchst selten zusammen in einem Film erlebt. So soll Kino sein: intelligent, spannend, und aufrichtig interessiert am Zustand der Welt.

Martin Schwickert

Hævnen DK/S 2010 R: Susanne Bier B: Anders Thomas Jensen K: Morten S›borg D: Mikael Persbrandt, Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen