In ihrem Haus

Das Leben lesen

François Ozon spielt mit Fiktion und Wirklichkeit

Vergesst eure Handys, lest Bücher!" ruft Germain (Fabrice Luchini) halbherzig seinen Schülern hinterher, die nach dem Klingeln das Klassenzimmer fluchtartig verlassen. Aus langen Dienstjahren als Gymnasiallehrer weiß er, dass es ein aussichtsloses Unterfangen ist, der pubertierenden Facebook-Generation die Freuden der Literatur nahe bringen zu wollen. Abends wenn er die Aufsätze korrigiert, gehen die schriftlichen Ausführungen der Schüler selten über das SMS-Format hinaus. Nur die Abhandlung des unauffälligen Hinterbänklers Claude (Ernst Umhauer) ragen aus der illiteraten Masse heraus. Mit genauer Beobachtungsgabe und sanfter Ironie beschreibt er den Besuch im Hause eines Mitschülers.

Germain und auch seine Frau Jeanne (Kristin Scott Thomas) sind davon überzeugt, dass in dem Jungen schriftstellerisches Talent steckt. Der Lehrer ermuntert den Schüler, seine Geschichte weiterzuspinnen. Jede Woche bekommt Germain fortan einen weiteren Teil des Fortsetzungsromans, der sich immer tiefer in das Familienleben des Mitschülers hineingräbt. Dabei bleibt der junge Autor, der sich deutlich zur Mutter seines Schulfreundes (Emmanuelle Seigner) hingezogen fühlt, nicht nur stiller Beobachter, sondern wird auch zunehmend zum heimlichen Manipulator im bürgerlichen Leben der Familie. Mit steigender Neugier liest Germain die Aufsätze des Jungen, wird zu dessen literarischem Berater und damit auch selbst zum Lenker der Geschichte - und der Wirklichkeit.

Mit In ihrem Haus läuft der französische Regisseur François Ozon, der hier das Theaterstück von Juan Mayorga frei adaptiert hat, nach einigen eher mäßigen Werken wieder zu alter Form auf. In dem Film, der über die Kraft und die Gefahren der Imagination erzählt, macht Ozon wie schon in Unter dem Sand das Geschichtenerzählen selbst zum Thema, das er auf verschiedenen, sich selbst bespiegelnden Ebenen erörtert.

Mit spielerischer Leichtigkeit wird hier über das Verhältnis zwischen Realität und Fiktion, Autor und Leser, Manipulation und Wirkung nachgedacht. Dabei bekommt man als Zuschauer zunehmend das Gefühl, selbst an der Gestaltung der Geschichte beteiligt zu sein, so wie das Ehepaar als Leser allmählich in den Strudel der Ereignisse hineingezogen wird.

Martin Schwickert

Dans la maison F 2012 R&B: François Ozon; nach einem Theaterstück von Juan Mayorga K: Jérôme Alméras D: Fabrice Luchini, Ernst Umhauer, Kristin Scott Thomas