DIE INNERE SICHERHEIT

Auf der Flucht

Nur die Fahnder erinnern sich noch an die Terroristen der 70er

Zunächst sieht alles nach Urlaub aus. Weißer Sandstrand. Atlantikwellen. Eine südliche Touristenhochburg in der Nebensaison. Für die junge Jeanne (Julia Hummer) sind Ferien Normalzustand. Keine Schule, immer unterwegs. Keine Freunde, immer nur die Eltern. Die waren einmal Terroristen und stehen auch nach mehr als zwanzig Jahren ganz oben auf den Fahndungslisten.

Der in Bad Kleinen erschossene Wolfgang Grams habe in der Illegalität Marmelade gekocht, berichtet Regisseur Christian Petzold. Er sieht darin ein Indiz für die Sehnsucht nach Normalität und Die innere Sicherheit spinnt den Gedanken weiter.

Clara (Barbara Auer) und Hans (Richy Müller) haben allen widrigen Umständen zum Trotz eine Tochter gezeugt. Aber was macht eine Familie im Untergrund? Eine normale Schule hat Jeanne nie besucht. Die Mutter ist zugleich ihre Lehrerin. Die 15-jährige ist mit den Regeln der Konspirativität groß geworden. Das Leben in der Illegalität ist einsam und diszipliniert. Aber Jeanne ist auch ein normaler Teenager und tut das, was Mädchen in ihrem Alter eben tun: heimlich Rauchen, Klamotten klauen, sich verlieben.

Die Eltern sind kurz davor, sich eine neue legale Existenz in Brasilien aufzubauen. Da raubt man ihnen die gesamten Ersparnisse. Sie müssen zurück nach Deutschland. In alten Depots finden sie bündelweise Geld von früheren Raubzügen. Die Hunderter von damals sind jedoch längst wertlos geworden. Frühere Weggefährten leben in Villen am Stadtrand und wollen mit der Vergangenheit nichts zu tun haben. Die Geschichte hat die Terroristenfamilie längst überholt. Nur die Fahnder erinnern sich noch an sie, und die Sondereinsatzkommandos sind jederzeit abrufbereit. Ausgerechnet jetzt verliebt sich Jeanne in Heinrich (Bilge Bingül). Die direkte Art des Heimzöglings ist das vollkommene Gegenteil zu Jeannes verdeckter Existenz. Sie belügt ihn oder schweigt einfach. So wie es ihr Vater bei den Polizeiverhören getan hat. Wenn Du schweigst sagt er zu ihr, dann implodieren sie irgendwann. Und er fragt auch: Bist Du verliebt? Denn wenn man verliebt ist, erzählt man sich irgendwann die Wahrheit.

Regisseur Christian Petzold ist ein Nachgeborener der westdeutschen 68er-Generation. Sein Umgang mit dem Sujet ist entspannt. Ob Terroristen nun gute oder schlechte Menschen sind, steht - anders als bei Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuß - gar nicht zur Debatte. Die innere Sicherheit betreibt keine historische Aufarbeitung und enthält sich aufdringlicher Psychologisierungen. Der Film beschreibt den Zustand von Menschen, die aus der Zeit gefallen sind und denen alle Rückwege verbaut wurden. Das alles kommt ganz unpathetisch daher: Klare kühle Bilder, sparsame Dialoge, und mit Barbara Auer, Richy Müller und der jungen talentierten Julia Hummer ein hochkarätiges Schauspielerensemble, das auch zwischen den Worten viel zu sagen hat.

Martin Schwickert

D 2000 R: Christian Petzold B: Christian Petzold/Harun Farocki K: Hans Fromm D: Barbara Auer, Richy Müller, Julia Hummer