»THE INSIDER«

Mutige Nichtraucher

Wie die US-Zigarettenmultis Kritiker mundtot machen wollten

In den McCarthy-Ära wäre The Insider wahrscheinlich ein Fall für den Ausschuss zur Untersuchung unamerikanische Umtriebe gewesen. Aber heute gehört ein wenig Kapitalismuskritik auch in Hollywood zum guten Ton. Eben erst ist Julia Roberts als Erin Brockovich gegen die Grundwasserverseuchung eines Chemiekonzerns zu Felde gezogen. Ein Jahr zuvor war John Travolta mit Zivilprozess in ähnlicher Mission unterwegs. Matt Damon stellte 1998 als junger Provinzanwalt in Der Regenmacher die korrupte Politik der Krankenkassen an den Pranger, und Regisseur Michael Mann knöpft sich mit The Insider nun die Tabakindustrie und ihre dunklen Machenschaften vor. Die 246 Millionen Dollar schwere Sammelklage gegen die Zigarettenkonzerne beschäftigt heute noch die US-Justiz. Kernpunkt des Prozesses war damals die Aussage des Biochemikers Jeffrey Wigand, der nach seiner Kündigung die Methoden eines einflussreichen Tabakmultis aufdeckte. Während die Verantwortlichen in offiziellen Anhörungen stets den Suchtcharakter des Nikotins verleugneten, forschte man in den eigenen Labors eifrig nach chemischen Zusatzstoffen, um dessen Drogeneffekte noch zu verstärken.
Michael Mann stellt zwei Verräter ins Zentrum seines politischen Dokudramas: den Kronzeugen Wigand (Russel Crowe) und den CBS-Journalisten Bergman (Al Pacino), der damals vergeblich versuchte, die Aussage Wigands in seiner TV-Show zu senden und schließlich mit der Story im Gepäck zur New York Times überlief. Wigand ist ein ganz gewöhnlicher Familienvater, der nach seiner Kündigung gegen den sozialen Abstieg kämpft. Massiv setzt der ehemalige Arbeitgeber den Wissenschaftler mit Stillschweigeabkommen, finanziellen Schikanen, anonymen Morddrohungen und Rufmord-Kampagnen unter Druck. Wigand ist kein Held. Sein Familienleben kollabiert, und bis zuletzt zögert er die Aussage hinaus. Russel Crowe gibt hier als Normalbürger, der an den Anforderungen des Heldenalltags fast zerbricht, die beste Vorstellung seiner Karriere.
Pacino hingegen ist ganz der Alte. Als überarbeiteter, engagierter Journalist verstreut er wieder großzügig Charisma über die Leinwand. Bergman bringt den zögernden Zeugen allein durch seine persönliche Integrität zum Sprechen. Als der Sender den Skandal-Beitrag absetzt, weil sich die Tabakindustrie inzwischen in den Medienkonzern eingekauft hat, steht Bergmanns journalistische Ehre auf dem Spiel. Wie schon in seinem letzten Film Heat setzt Michael Mann auch in The Insider erfolgreich auf sein Schauspielerduell. Mit Pacino und Crowe prallen zwei grundverschiedene Charaktere aufeinander, und am Ende steht die moderne Männerfreundschaft in einer korrupten Welt auf dem Prüfstand. Michel Mann - man verzeihe den Kalauer - macht Männerfilme. Alle Frauenfiguren dienen hier ausschließlich als unterforderte Stichwortgeberinnen.
The Insider ist keineswegs frei von pathetischen Zwischentönen, aber handwerklich überzeugend verpackt. Klare Charaktere, pulsierendes Erzähltempo, dynamischer Schnittrhythmus und die bestechende Kamaraarbeit von Dante Spinotti halten die Spannung bis zur letzten der 160 Filmminuten aufrecht.

Martin Schwickert