In Time

Zeitkonto

Ein intelligenter Science Fiction-Thriller, der eigentlich heute spielt

Ich habe keine Zeit" - dieser Satz, den wir oft achtlos daher sagen, ist in der Welt die Andrew Niccols "In Time" entwirft, von existenzieller Bedeutung. Auf dem Unterarm der Menschen ist hier in neonfarbener Schrift eine digitale Uhr verzeichnet, auf der man die Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden, die man noch am Leben bleibt, genau ablesen kann.

Mit einer gentechnologischen Entdeckung hat die Menschheit es geschafft, den Alterungsprozess aufzuhalten. Mit 25 bleibt der Körper, so wie er ist. Aber um eine Überbevölkerung zu vermeiden, wird die Lebensuhr eingeschaltet. Ein Jahr bekommt jeder frei Haus und muss dann sehen, wie er weitere Lebenszeit gewinnt. Denn Zeit ist in dieser Welt im wahrsten Sinne des Wortes Geld. Sie ist die Währung, mit der alles bezahlt wird. Man kann sich Lebenszeit erschuften in der Fabrik und man zahlt damit. Ein Kaffee: eine Minute. Eine Busfahrt ans andere Ende der Stadt: zwei Stunden. Ein zehnminütiger Quickie bei einer Prostituierten: eine Stunde. Natürlich gibt es auch Banken, bei denen man sich Zeit leihen kann, und Zeitdiebe, die sie einem stehlen.

Will (Justin Timberlake) ist es gewohnt immer nur ein paar Tage auf dem Arm zu haben. Dort, wo er herkommt, leben die Menschen von einem Tag zum anderen. Dass Passanten, auf der Straße umkippen, weil ihre Uhr abgelaufen ist, gehört in Dayton zum Alltag. Als ein Unbekannter ihm ein ganzes Jahrhundert schenkt und seine Mutter (Olivia Wilde) den Wettlauf mit der Zeit nicht überlebt, beschließt Will, seine Zeitzone zu verlassen. Denn natürlich gibt es ein sorgfältig abgestuftes Klassensystem von Zeitzonen. Als Will in New Greenwich ankommt, fällt er sofort auf, weil er zu schnell geht. Die Leute, die hier in dieser Luxusstadt leben, haben alle Zeit der Welt. Mit ein paar Jahrhunderten auf dem Unterarm lässt sich gut flanieren. Ein Hotelzimmer kostet zwei Monate am Tag und in den Casinos werden Jahrtausende verspielt. Am Spieltisch lernt Will einen reichen Zeitbankier (Vincent Kartheiser) kennen, knöpft ihm beim Poker ein paar Jahrhunderte ab und verguckt sich in seine schöne Tochter Sylvia (Amanda Seyfried). Als die Polizisten, die sogenannten Timekeeper, den Zeitzonenmigranten stellen und seine Uhr zurückdrehen, entführt Will die Millionärstochter. Auf der Flucht verbünden sich Kidnapper und Geisel schließlich und beginnen gemeinsam mit Banküberfällen die Zeit neu zu verteilen.

Ein Hauch von Bonnie & Clyde kommt auf in Niccols spannenden Science-Fiction-Thriller, der mit seinen Figuren immer in Bewegung bleibt, weil es keine Zeit zu verlieren gilt. Niccols, der mit Gattaca schon das Thema Gentechnologie intelligent und unterhaltsam im Popcorn-Format verhandelt hat und das Drehbuch zu Die Truman Show geschrieben hat, baut seine Prämisse, die Lebenszeit als Währung einführt, mit viel Liebe zum futuristischen Detail aus und tut das, was das Kino am besten kann: Er entwirft eine zukünftige Welt, die nach ihren eigenen Gesetzen auf der Leinwand schlüssig existieren kann.

Aber natürlich ist diese Welt gar nicht so anders als die unsere, sondern denkt mit seiner Zeit-Geld-Allegorie den Zustand der heutigen Wirtschaftskrisengesellschaft radikalisierend weiter. Die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, die Abschottung der Bessergestellten in sogenannten "Gated Communites", die Verslumung urbaner Randgebiete, die inadäquate Macht der Banken, der Rigorismus des Finanzsystems, der rapide Anstieg der Lebenshaltungskosten in den Städten oder die permanente Beschleunigung des Lebens - all das sind höchst aktuelle Themen, die der Film über Bande in seiner tragfähigen Metaphorik anspielt, ohne dabei seinen erzählerischen Drive zu verlieren.

Martin Schwickert

USA 2011 R&B: Andrew Niccol K: Roger Deakins D: Amanda Seyfried, Justin Timberlake, Cillian Murphy