I Origins - Im Auge des Ursprungs

Magie und Wissenschaft

Ein intelligenter Thriller über Seele und Ursprung

Zuerst sieht er ihre Augen. Nur ihre Augen. Auf einer Plakatwand am Rande eines unwirtlichen Parkplatzes irgendwo in New York. Später schauen sie ihn ganz real auf einem Kostümball durch eine Maske hindurch an. Und schließlich sieht er sie noch einmal in der U-Bahn und zum ersten Mal auch die Frau, die zu diesen Augen gehört. Aber da ist die Liebe der beiden schon besiegelt.

Ian (Michael Pitt) kennt sich aus mit Augen. Der junge Wissenschaftler studiert das Sehorgan und versucht gemeinsam mit seiner Kollegin Karen (Brit Marling) dessen evolutionäre Entwicklung vom blinden Wurm bis zum hochkomplexen menschlichen Auge lückenlos zu erforschen. Ähnlich wie der Fingerabdruck zeichnen Farbe und Struktur der Iris uns als einmalige Individuen aus. "Vielleicht sind die Augen" so heißt es in Mike Cahills I Origins mehrmals "tatsächlich das Tor zur Seele".

Cahill, der vor drei Jahren mit dem eigensinnigen Science-Fiction Another Earth sein vielversprechendes Spielfilmdebüt vorlegte, begibt sich mit seinem neuen Film an die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Mystik. Denn die höchst romantische Liebesgeschichte zwischen, Ian und Sofi (Astrid Bergès-Frisbey), deren Augen er auf der Plakatwand entdeckt hat, findet schon bald ein abruptes, tragisches Ende.

Ein paar Jahre später, nachdem die Irisdiagnose längst zu einer globalen Identifikationstechnik ausgebaut ist, tauchen Sofis unverwechselbaren Augen im Körper eines indischen Mädchens wieder auf. Ian, der als Evolutionsforscher alle Schöpfungstheorien ein für alle Mal widerlegen wollte, scheint nun den wissenschaftlichen Beleg für die Reinkarnation gefunden zu haben. Was sich auf dem Papier vielleicht wie ein esoterisches Erbauungsstück liest, entwickelt sich unter Cahills Regie auf der Leinwand zu einem interessanten philosophischen Thriller. I Origins bringt rationales Wissenschaftsdenken und den Glauben an übernatürliche Kräfte gleichberechtigt miteinander in Reibung, ohne in die nebulöse Spiritualität abzudriften, wie sie etwa M. Night Shyamalan in Das Mädchen aus dem Wasser oder Die Legende von Aang beschworen hat.

Der Film vermittelt eindringlich die Faszination für die wissenschaftliche Erforschung unseres Daseins und dessen, was möglicherweise darüber hinaus existiert. Cahill verhandelt sein philosophisch-spirituelles Sujet in einer offenen Erzählstruktur, in der sich verschiedene Genreelemente vom Thriller bis zum romantischen Melodrama wiederfinden. Daraus ist erneut ein Film entstanden, auf den man sich einlassen muss, der aber durch seinen eigensinnigen Ansatz Gedanken- und Assoziationsräume öffnet, die man im Kino viel zu selten betritt.

Martin Schwickert

I Origins USA 2014 R&B: Mike Cahill K: Markus Förderer D: Michael Pitt, Brit Marling, Astrid Bergès-Frisbey 97 Min.