»DEVIL'S ISLAND«

Sozial- Radau

Tristes aus Island

Wie sein finnischer Kollege Aki Kaurismäki ist der isländische Regisseur Fridrik Thor Fridriksson so etwas wie ein cineastischer Botschaftler seines Landes im unwissenden Resteuropa. Das Wissen über Island speist sich hierzulande meist aus zwei Quellen: Aus den Reklamesprüchen der Tourismusbranche, die für das "Land aus Feuer und Eis" werben und aus der spröden Poesie der Fridriksson-Filme wie Children of Nature , Movie Days oder Cold Fever . In Devil's Island , der im dünn besiedelten Inselstaat zum erfolgreichsten Film aller Zeiten wurde, zeigt Fridriksson die wilden fünfziger Jahre aus der isländischen Gossenperspektive.
Am Rande von Reykjavik sind nach dem Kriege alte verlassene U.S.-Kasernen in Sozialwohnungen umgewandelt worden, und auf dem schlammigen Gelände hausen die verarmten Großfamilien auf engstem Raum. Nur wenige können dem Ghetto entfliehen, so wie Gogo, die einen GI heiratet und in Amerika ihr Glück versucht. Den Großeltern hinterläßt sie ihre heranwachsenden Kinder. Der alte, gutmütige Werftarbeiter Tómas und seine etwas verhuschte, wahrsagende Ehefrau Karolina (Sigurveig Jónsdóttir) sind jedoch schon bald von den heranbrechenden Generationskonflikt überfordert. Lieblingsenkel Baddi verwandelt sich nach einem Besuch in den USA in einen "Rebell without Cause" mit Lederjacke und Schmalztolle. Mit ihm bricht stellvertretend die Amerikanisierung der Verhältnisse auch über das abgelegenen Island herein. Baddi heizt mit seinen roten Chevrolet durch die Barackensiedlung und entwickelt sich gegenüber der ganzen Familie zum respektlosen Haustyrann. Mit dem Einzug der Rock'n Roll-Revolte zerbrechen auch im Barackenghetto die letzten Reste familiärer Solidarität. Flasche um Flasche wird geleert, Scheiben gehen zu Bruch und Eltern rufen die Polizei, um ihre Söhne abholen zu lassen.
In bunten Farben schildert Fridriksson das Elend am Rande der isländischen Gesellschaft und schildert die 50er-Jahre jenseits aller Nierentischromantik. Wie in seinen vorherigen Filmen fehlt es auch hier nicht an wunderlichen magischen Einsprengseln, die ironisch auf isländische Mytholgien verweisen, und auch die Charaktere sind mit allerlei skurilen Eigenschaften ausgestattet. Mit viel Sinn für Atmosphäre wurde die Barackensiedlung rekonstruiert und auch sonst bemüht sich der Film sehr um soziale Genauigkeit. Genau dies ist aber auch das Problem von Devil's Island . Fridriksson verrennt sich in seinen Elendsnaturalismus und verliert zunehmend jegliches Gespür für dramturgische Kürze. Immer und immer wieder kreisende Flaschen, trunken randalierende Kerle und eine Geschichte die auf der Stelle tritt. Die sanfte Melancholie, die frühere Filme Fridriksson's auszeichnen und die Gabe des Regisseurs, mit wenigen Gesten große Geschichten zu erzählen, scheinen in Devil's Island im Radau sozialer Konfliktforschung verloren gegangen zu sein.

Martin Schwickert