LETTERS FROM IWO JIMA

Das Gesicht des Feindes

Clint Eastwood wird in den USA wegen dieses Filmes als Vaterlandsverräter bespuckt

Knapp 21 Quadratkilometer Sand und Vulkangestein, etwa 1200 Kilometer von der japanischen Hauptinsel entfernt: Die Insel Iwo Jima ist ein unwirtlicher Ort, nicht einmal Trinkwasser gibt es dort. Und doch gehörte das Eiland während des Zweiten Weltkrieges zu den am härtesten umkämpften Posten im Pazifik. 7000 GIs kamen bei der Eroberung der Insel um. Von den 21.000 dort stationierten japanischen Soldaten überlebten nur 276.
In The Flag of Our Fathers hat Clint Eastwood gerade den Kampf um Iwo Jima aus amerikanischer Sicht gezeigt und dabei die mediale Heldenmythenkonstruktion der drastischen Kriegsrealität gegenüber gestellt. Da Eastwood das Gefühl hatte, dass er damit nur die halbe Geschichte erzählt habe, drehte er direkt im Anschluss Letters From Iwo Jima, der die Ereignisse aus japanischer Sicht schildert. Dabei berufen sich Eastwood und seine Drehbuchautorin Iris Yamashita auf vergrabene Feldpostbriefe der Soldaten, die Jahrzehnte später in einer Höhlenstellung gefunden wurden.
Die Soldaten auf der Insel machen sich keine Illusionen. Gegen die Übermacht der amerikanischen Armada werden sie keinen Sieg erringen. Verstärkung ist nicht in Sicht, weil die japanische Flotte ebenfalls schon vernichtet wurde. Selbst die Generäle haben den Soldaten gesagt, dass wohl keiner von ihnen lebend von dieser Insel herunterkommen wird.
Im Angesicht der herannahenden US-Invasion übernimmt Generalleutnant Tadamichi Kuribayashi (Ken Watanabe) in Iwo Jima das Kommando. Auch er weiß, dass die Insel nicht zu halten ist, aber er ist entschlossen, die Invasion für den Feind so verlustreich wie möglich zu gestalten. Kuribayashi ist kein Fanatiker. Er hat in den USA studiert und weiß den "american way of life" zu schätzen. Aber er ist hier, um sein Land zu verteidigen, und diese Aufgabe geht er mit strategischer Raffinesse an. Er lässt ein verzweigtes Tunnelsystem in den Vulkan graben, in dem die Soldaten vor dem amerikanischen Luftangriffen geschützt sind und auf die Landung der US-Truppenverbände warten. Erst als der Strand voll mit GIs ist, gibt Kuribayashi das Feuer frei.
An verschiedenen, genau gezeichneten Figuren zeigt Eastwood, dass die Haltung der japanischen Soldaten und Offiziere keineswegs einheitlich ist. Einige pflegen den traditionellen Ehrenkodex und sprengen sich lieber selbst mit einer Handgranate in die Luft, als sich dem Feind zu ergeben.
Dem Gruppenterror des kollektiven Harakiri stellt Eastwood die Figur des jungen Bäckers Saigo (Kazunari Ninomiya) gegenüber, der nur überleben will, um seine gerade geborene Tochter einmal sehen zu können. Der ehemalige olympische Reiter Baron Nishi (Tsuyoshi Ihara) lässt einen verwundeten GI medizinisch versorgen und erzählt ihm von seiner eigenen Zeit in den USA.
Dass alle dennoch weiterkämpfen, liegt an der mörderischen Eigendynamik des Krieges, der sich der Einzelne nicht entziehen kann. Der Versuch der Desertion endet in einer willkürlichen Hinrichtung durch einen amerikanischen Soldaten.
Letters From Iwo Jima erzählt das Drama der Niederlage aus verschiedenen, individuellen und widersprüchlichen Perspektiven. Dabei vermeidet Eastwood jegliche simplifizierenden pazifistischen Posen. Seine differenzierte Sicht auf die Seite der Kriegsgegner, die bisher im amerikanischen Kino vorwiegend als fanatisierte, suizidsüchtige Samurais stereotypisiert wurden, hat keine politischen Belehrungen nötig.
Wie die meisten Filme des Regisseurs spricht auch Letters From Iwo Jima durch die typisch Eastwood'sche Geradlinigkeit für sich selbst in einer klaren, aufrichtigen und schnörkellosen Sprache, wie man sie im geschwätzigen Hollywoodbetrieb kaum noch antrifft.

Martin Schwickert

USA 2006 R: Clint Eastwood B: Iris Yamashita, Paul Haggis K: Tom Stern D: Ken Watanabe, Kazunari Ninomiya, Tsuyoshi Ihara, 141 Min.