»AUF DER JAGD«

Kimbelchen

Tommy Lee Jones spielt sein Steinbeißer-Image souverän aus

Wer es nicht schon vorher weiß, wird erst spät merken, daß Regisseur Stuart Baird mit Auf der Jagd einen der bekanntesten Filmstoffe noch einmal aufgießt. In den 60er Jahren war Richard Kimble satte 119 Fernsehfolgen lang Woche für Woche Auf der Flucht . Als der zu Unrecht verfolgte tapfere Arzt im August 1967 in der letzten Ausstrahlung endlich seinen einarmigen Kontrahenten stellte, brachte das in den USA die traumhafte Einschaltquote von 72 Prozent, zeitgleich wurde das Finale in Japan, Kananda, Australien und Großbritanien übertragen.

1993 verfilmte Regisseur Andrew Davis den Stoff noch einmal fürs Kino, schickte Harrison Ford ins atemlose Rennen und plazierte sich in den Jahrescharts auf dem zweiten Platz gleich hinter Jurassic Park . Eine solche Erfolgsstatistik schreit nach einer Fortsetzung, und solche Sequels gehören meistens zu den sicheren Kinoenttäuschungen.

Glücklicherweise entwickelt Regisseur Stuart Bairds genug Selbstbewußtsein im Umgang mit dem Klassikerstoff. Zunächst entmoralisiert er die Geschichte ein wenig. Der Verfolgte ist hier nicht ein harmloser Arzt, sondern ein mit allen Wassern gewaschener Undercover-Agent des Secret Service. Marc Roberts (Wesley Snipes) wird verdächtigt, zwei seiner Geheimdienst-Kollegen niedergeschossen zu haben. Sein Versuch, in einem normalen Leben als Automechaniker unterzutauchen, scheitert, als er in Chicago einen Unfall baut. Er wird im Krankenhaus verhaftet und soll noch in der selben Nacht per Flugzeug den New Yorker Beamten überstellt werden. Der Gefangenentransport kommt nie an, denn in Folge eines Mordanschlages auf Marc Robert macht die Boing 747 eine Bruchlandung. Der gewievte Geheimdienstler entkommt, und US-Marshal Samuel Gerard (Tommy Lee Jones) nimmt, unterstützt von seiner recht cool agierenden Spezialeinheit und einem schnöseligen Secret-Service-Agenten (Robert Downey jr.), die Verfolgung auf. Tommy Lee Jones hatte schon im 93er Remake den Part des Jägers übernommen, und auch hier steht sein verhärmtes Gesicht für die ganze Unnachgiebigkeit des Gesetzes. Überhaupt verlagert der Film die Gewichte, konzentriert sich zunächst eher auf Gerard und seine Truppe, folgt den Erkenntnisprozessen des Ermittlers, der nur langsam realisiert, daß sein Gegner nicht der Bösewicht ist, für den er ihn hält. Auf der Jagd ist schönes, gerades, schnörkelloses Action-Kino. Stuart Bairds versteht es, auf der ganzen Klaviatur des Genres zu spielen, ohne in martialische Herumballerei zu verfallen. Besonders imposant ist die Bruchlandung des Flugzeuges, stilvoll die Verfolgungsjagd in den Sümpfen Tennessees, und der Sprung von einem zwanzigstöckigen Hochhaus auf das Dach eines Zuges ist auch nicht von schlechten Eltern. Den Mangel an psychologischer Raffinesse gleicht Auf der Jagd durch zielgenaues dramaturgisches Timing und rasante Schnittfolgen hinreichend aus. Als Cutter hat Regisseur Baird u.a. in Lethal Weapon 1 & 2 und Die Hard 2 langjährige Erfahrung in der Action-Branche.

Trotzdem wäre der Film nichts ohne seinen Hauptdarsteller Tommy Lee Jones. Außer ihm schafft es kaum noch einer, solche geradlinigen, knochentrockenen Steinbeißertypen darzustellen. Schon in der köstlichen Eingangssequenz spielt der Film dieses Image gekonnt aus: Versteckt in einem überdimensionalen Hühnchenkostüm aus Plüsch überwacht US-Marshal Gerard die Wohnung eines Verdächtigen. Als der Gangster auftaucht, läßt er das Tablett mit den Käsehäppchen fallen, zieht unter dem Flügel die Knarre hervor und stürmt im entschlossenen Watschelgang das Haus. Auch den Rest der Szene absolviert der knallharten Cop in gelbem Plüsch - das macht ihm so schnell keiner nach.

Martin Schwickert