J. Edgar

Alles für Mama

Der General in seinem Labyrinth: Clint Eastwood hat mit »J. Edgar« ein persönliches Portrait des FBI-Chefs Hoover entworfen

Die US-Präsidenten kamen und gingen, aber einer blieb: J. Edgar Hoover. Der Gründer des Federal Bureau of Investigation, das er von 1924 bis zu seinem Tod 1972 leitete, überlebte Calvin Coolidge, Herbert Hoover, Franklin D. Roosevelt, Harry S. Truman, Dwight D. Eisenhower, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Hoover war ein glühender Antikommunist, ein fanatischer Datensammler und Vertreter des Überwachungsstaates, ein begnadeter Stratege, der sein politisches Überleben sicherte, indem er Freunde und Gegner mit kompromittierenden Informationen unter Druck setzte.

Für das liberale Amerika ist Hoover heute noch ein monumentales Feindbild. Dessen ist sich auch Clint Eastwood bewusst und sucht in seinem neuen Film J. Edgar nach einem eigenen Zugang zu dieser sperrigen Figur. In seiner altersgelassenen Art tut Eastwood etwas ganz Einfaches mit dem Mann, der sich selbst als Held von Gesetz und Ordnung aufbaute und das eigene öffentliche Image ein Leben lang kontrollierte - er zeigt Hoover nicht als historische Ikone, sondern als Mensch. Das heißt nicht, dass Erfolge wie Missetaten verschwiegen werden, sondern dass für sie ein persönlicher Kontext geschaffen wird, aus dem heraus sich die Ursachen erahnen lassen.

Im Gewand eines Biopics, das auf verschiedenen Zeitebenen und mit einer souverän geführten Rückblendendramaturgie den Werdegang Hoovers schildert, baut sich langsam ein zeithistorisches Psychogramm zusammen. "Kommunismus ist keine Partei, sondern eine Seucheö, sagt Hoover (Leonardo DiCaprio) zu Beginn aus dem Off. In seinem Büro diktiert der gealterte FBI-Chef einem Agenten seine Memoiren, während draußen auf den Straßen die Bürgerrechtsbewegung mobil macht. Der Zeitgeist der siebziger Jahre ist gerade dabei, den Kalten Krieges zu unterminieren und Hoover will der neuen Zeit sein Vermächtnis entgegen stellen.

Als junger Beamter des Justizministeriums wird er 1917 Leiter der Sektion zur Registrierung feindlicher Ausländer. Auch in den USA kommen die Ausläufer der Russischen Revolution in Form von vereinzelten Bombenanschlägen an. Hoover sorgt für die Deportation kommunistisch gesonnener Ausländer und organisiert 1920 die größte Massenverhaftung der US-Geschichte, bei der 10.000 Mitglieder und Sympathisanten der KP festgenommen werden. In den Dreißigern nimmt er mit dem neu gegründeten FBI den medienwirksamen Kampf gegen Großgangster wie John Dillinger auf und erlangt für sich und seine Institution, die mit den modernen Mitteln der Forensik arbeitet, die ersehnte Anerkennung, als er die Entführung des Lindbergh-Babys aufklärt. Während des Zweiten Weltkrieges arbeiten seine stets gut gekleideten Agenten in der Spionageabwehr, und im Zuge des Kalten Krieges kann Hoover seine antikommunistischen Leidenschaften voll und ganz ausleben. Nebenbei sammelt Hoover Informationen über hochgestellte, politische Persönlichkeiten in seiner gefürchteten privaten Aktensammlung und stöbert im Sexleben von Eleanor Roosevelt, John F. Kennedy und Martin Luther King.

Kalkül, Besessenheit und die Sehnsucht nach Anerkennung treiben den erzkonservativen FBI-Chef an. Anerkennung nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern vor allem auch von der eigenen Mutter (Judi Dench), bei der der unverheiratete J. Edgar bis zu deren Tod lebt. Nur wenige Menschen zieht der Sicherheitsfanatiker ins Vertrauen: Seine langjährige Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts), der er in jungen Jahren einen überstürzten Heiratsantrag gemacht hat, und seinen Assistenten Clyde Tolson (Armie Hammer), der ihm ein Leben lang die Treue hielt.

Dass die beiden nicht nur Freunde und Kollegen waren, sondern auch ein Liebespaar ist eine sich hartnäckig haltende, wenn auch nie wirklich bewiesene Vermutung. Eastwood und sein Drehbuchautor Dustin Lance Black (Milk) beschreiben die Beziehung der beiden als unterdrückte platonische Liebe. Hoover war zu sehr in seiner tief verwurzelten Homophobie gefangen, um sich seine Neigungen einzugestehen. Dass die Unterdrückung der eigenen sexuellen Sehnsucht eine Antriebsfeder für Hoovers großangelegten Kampf gegen politische und gesellschaftliche Normabweichungen war, legt der Film durchaus schlüssig nahe, ohne es zum monokausalen Erklärungsansatz zu machen.

Mit J. Edgar ist Eastwood ein vielschichtiges und hochinteressantes Portrait eines Machtmenschen gelungen, der mit beispielloser Rigidität ein konservatives Weltbild verteidigte, in das er im Grunde selbst nicht hineinpasste.

Martin Schwickert

USA 2011 R: Clint Eastwood B: Dustin Lance Black K: Tom Stern D: Leonardo DiCaprio, Josh Hamilton, Geoff Pierson, Naomi Watts