»JEFFREY«

Positiv komisch

No Sex im Zeichen von AIDS - eine schule Komödie mit Klasse

Vielleicht ist es ein Zynismus der Geschichte, daß AIDS schwule Liebespaare in Hollywood salonfähig gemacht hat. In Philadelphia , Long time compagnion und zuletzt in It's my party lieferte die Auseinandersetzung mit dem tödlichen Virus Stoff für sentimentale Tragödien, die auch ein heterosexuelles Publikum zum Schnupftuch greifen ließen. Christopher Ashley schlägt mit seinem höchst originellen Kinodebut andere Töne an - denn jede Tragödie birgt in sich auch eine Komödie.
Jeffrey (Steven Weber), der Held des Geschehens, erzählt mit direktem Blick in die Kamera von seiner Lebenskrise. Das schwule Leben im Safer-Sex-Zeitalter ist ihm zu kompliziert geworden, und er entschließt sich für eine geradlinige Lösung des Problems: "No Sex ... anymore" heißt seine Parole. Es gibt andere schöne Dinge im Leben, Schwitzen z.B. in einem Fitness-Studio oder die brachliegende Schauspielerkarriere vorantreiben.
Die Abstinenz, so redet Jeffrey sich ein, wird ungeahnte Energien freisetzen. Doch schon bei dem ersten Besuch im Fitness-Studio erwartet ihn eine harte Prüfung: Steve heißt sie, die Prüfung - ein Märchenprinz, dessen dreitagebärtiges Lächeln so manchen Hormonhaushalt durcheinanderwerfen kann. Es sprotzelt und knistert ganz heftig, aber Jeffrey bleibt hart dran am selbstauferlegten Zölibat. Freunde, ja selbst unbeteiligte Passanten beknien ihn, seine harte Haltung aufzugeben. Als Steve (Bryan Batt) jedoch eröffnet, daß er HIV-positiv ist, geht Jeffrey völlig auf Distanz, und bis zum ersehnten Happy End ist es ein langer, unterhaltsamer Weg.
Ratsuchend stolpert Jeffrey durch ein surreales, phantastisches New York, das "einem großen romantischen Spielplatz gleicht" (Produktionsdesigner Michael Johnston). Weder das gruppentherapeutische 12 Punkte-Programm gegen die Leidenschaft, noch eine New-Age-Missionarin (glanzvoller Gastauftritt: Sigourney Weaver) können dem gebeutelten "sexaholic" helfen. Mummy und Dad raten Sohnemann zu Gruppenmasturbation und Telefonsex, und selbst Pater Dan (Nathan Lane) will von Jeffrey nur das eine - und das sofort und in der Sakristei. Einzig Sterling, ein betagter schwuler Lebemann (Patrick Steward - ja, der Commander der "Enterprise"), kann als Berater ernst genommen werden: "Betrachte den Virus als ungebetenen Partygast, der nicht verschwinden will. Aber denk daran: es ist immer noch unsere Party!"
Jeffrey besticht durch seine Machart. Der Film ist alles in einem: Musical, Schnulze, Groteske, Tragödie, Komödie, Game-Show, phantastische Farce - grenzenlos ist Ashleys stilistische Wundertüte. Der Film platzt geradezu vor Inszenierungslust und Ideenreichtum und wirkt schon allein dadurch wie ein filmisches Heilmittel gegen AIDS-Depression. Tempo und Turbulenzen machen aus der Geschichte über weite Strecken eine schrille 90er-Jahre-Variante der Rock Hudson/Doris Day-Filme. Drehbuchautor Paul Rudnik ( Sister Act, Addams Family ) beherrscht das komödiantische Handwerkszeug erfrischend perfekt, und als Off-Broadway-Theaterstück wurde Jeffrey bereits 1993 als Publikumsrenner gefeiert. Gewagt und ebenso genial ist die Kombination von tatsächlich tragischen Szenen mit parodistischen Elementen. Als Sterlings Geliebter an den Folgen von AIDS stirbt, ist der HIV-Phobiker Jeffrey der letzte, dessen Hilfe Sterling annehmen will. Diese Szene hat ungebrochene dramatische Klasse, was Regisseur Ashley nicht daran hindert, wenige Sekunden später den Verstorbenen im weißen Katzenkostüm aus dem Jenseits wiederkehren zu lassen.
Die schönste Szene ist nur wenige Sekunden lang: Als Jeffrey und Steve sich das erste Mal leidenschaftlich küssen, wechselt die Kamera die Perspektive und schaut auf das jugendliche Publikum im Kinosaal. Während die Mädels sich gegenseitig begeistert auf die Schenkel hauen, fällt den Kerlen das Popcorn aus den schreckgeweiteten Mündern. "Gute Aussichten für den Einsatz in den Programmkinos der Großstädte, die über ein aufgeschlossenes Publikum verfügen", prophezeit "Blickpunkt: Film", ein Fachblatt für Kinobetreiber. Mehr als das möchte man diesem Film wünschen, denn er hat jede Menge Momente, die sicher auch außerhalb der Gay-Community zur Wirkung kommen.

Martin Schwickert