»JENSEITS DER STILLE«

Eigener Weg

Normal gut. Und dennoch ein deutscher Film

Da jammern wir und jammern über deutsche Filme, und wenn wir mal nicht vollkommen schockiert sind über die Flachheit, das handwerkliche Unvermögen und die lausige technische Qualität, die sonst für Filme heimischer Herkunft typisch sind, dann freuen wir uns und sagen laut "immerhin, nunja, für einen deutschen Film ist's gar nicht sooo schlecht." Und damit, hochverehrte Leserinnen und Leser, ist jetzt Schluß! Kein Pardon mehr! Ab sofort gibt's keine Jammereien mehr und keine Immerhins, sondern knallharte Verrisse oder gnadenloses Nichtbeachten. Ha!
Es trifft sich gut, daß als erster deutscher Film, dem kein Pardon gegeben wird, Jenseits der Stille zur Beurteilung ansteht, das Spielfilmdebut von Caroline Link. Jenseits der Stille handelt von dem jungen Mädchen Lara, dessen Eltern taubstumm sind. Lara kann hören, was auch nützlich für die Eltern ist, weil sie für die Familie die verbale Kommunikation mit der Welt übernimmt. Aber Lara ist musikalisch, und unter Musik können sich Menschen, die nicht hören können, gar nichts vorstellen. Als Lara beginnt, Klarinette zu spielen, ihre Begabung erkannt wird und sie sich entschließt, Musikerin werden zu wollen, kommt es zur Familienkrise. Laras Eltern haben nämlich wie alle Eltern Angst, ihr Kind zu verlieren, und dann noch an eine vollkommen unbekannte Welt... mit nur wenig Einfühlungsvermögen ist der Konflikt vorstellbar.
Das ist nun nicht gerade der Stoff, der die Massen in die Kinos treibt, wen interessiert schon die musizierende Tochter einer taubstummen Familie? Caroline Link. "Ich wollte eine Liebesgeschichte erzählen, einen Film machen über das Erwachsenwerden, darüber, wie schwer es ist, seinen eigenen Weg zuerst zu finden und ihn dann auch zu gehen." Und genau darum geht's auch. Und daß Lara eine Welt erkundet, die ihre Eltern nicht kennen, macht den Konflikt nur noch deutlicher. Und daß diese Welterkundung mit der Klarinette passiert, sorgt für einen wunderbaren Soundtrack.
Jenseits der Stille ist keine Komödie, aber Caroline Link weiß, daß ein gutes Drama mit starken emotionalen Konflikten nur dann funktioniert, wenn die komischen Aspekte nicht vernachlässigt werden. Und von diesen Aspekten hat Jenseits der Stille einige. Eine - unerwartet - heitere Atmosphäre bei der Familie auf dem Lande und Großstadt-Glamour, wenn sich Lara auf die Aufnahmeprüfung am Konservatorium vorbereitet. Witze, kleine Lachnummern, aber auch sehr brutal gesetzte Schicksalschläge. Und rührende Szenen, in denen die emotionale Dimension voll ausgespielt wird. Will sagen: man drückt auf die Tränendrüse. Und es funktioniert. Überhaupt funktioniert alles beinahe perfekt. Die Geschichte ist gradlinig erzählt, es wird schnell klar, wo Lara hinwill - und vor allem: warum.
Jenseits der Stille ist ein überzeugender Film, klug und warmherzig und unterhaltsam. Und auch lehrreich. Da braucht es weder ein "immerhin" noch ein "für einen deutschen Film...". Jenseits der Stille ist ganz schön gut, erst recht für ein Debut und ganz besonders, wenn man bedenkt, daß es kein nationales Renommierprojekt ist. Normal großartig. Da wollen wir mehr von sehen!

Georg Steller