JESUSī SON

Wirre Sprünge

Aus dem Leben eines Taugenichts im Drogenrausch

Für FH ist sein Leben ein unentwirrbares Knäuel mit zahlreichen losen Enden. FH steht für Fuckhead, was die Fähigkeit beschreibt, sich so tief wie möglich in jeden verfügbaren Schlamassel hineinzureiten. FH (Billy Crudup) ist ein Loser in den frühen 70ern - eine Zeit, in der Verlierer noch nicht so verloren waren wie heute. Der exzessive Drogengenuss hat sein Denken träge gemacht und die Verkehrsordnung im Hirn außer Kraft gesetzt. Alison Macleans Jesus Son folgt seinen löchrigen Erinnerungen. Die Erzählung springt vor und zurück, hinterlässt klaffende Lücken, die erst später überbrückt werden. Es fängt an mit dem Regen, in dem FH schon so lange steht, dass er jeden Tropfen mit Namen zu kennen glaubt. Ein Auto liest ihn vom Straßenrand auf. Die Halluzinogene in seiner Blutbahn kündigen einen Unfall an. Er überlebt die Massenkarambolage, aber das erfährt man erst in der Mitte des Films. Dazwischen liegt die Vergangenheit und die Erinnerung an Michelle (Samantha Morton). Vom ersten Kuss zur ersten gemeinsamen Nacht dauert es ein Jahr. In der Zwischenzeit stirbt Michelles Lover einen gewaltsamen Tod. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Am ersten Morgen danach schießt sich die Geliebte zum Frühstück Heroin in die Venen. In einem unbezahlten Hotelzimmer folgen glückliche Flitterwochen mit Kartoffelchips und Spritzbesteck. Sucht und Liebe verschmelzen untrennbar miteinander und diese Mischung überfordert das simple Gemüt von FH. Das mit der Liebe vermasselt er Stück für Stück. Was bleibt sind das kleine Leben im großen Rausch und all die schrägen Typen, die sich darin versammeln. Wayne, der in seinem eigenen Haus die Kabel aus der Wand reißt, um sich von dem Verkaufserlös einen letzten Schuss zu setzen. Der Mann, der in die Notaufnahme spaziert und ein Jagdmesser im Auge stecken hat. Manchmal passieren auch handfeste Wunder. Eine Frau fliegt am Fenster vorbei. Wattetupfer flattern wie Schmetterlinge durch den Raum. Ein Kaninchen wird überfahren und die Embryos aus dem Bauch werden gerettet. Es fällt Schnee im September. Ein Friedhof verwandelt sich in ein Autokino und wieder zurück. Alles ist möglich und nichts ist wirklich wahr.
Drogenfilme verfallen allzuoft in dämonisierende Elendsmalerei oder in jenen coolen Heroin-Chic, wie ihn Trainspotting zelebrierte. Jesus Son hingegen beschreibt das Junkie-Dasein wird hier als selbstständige Lebensform. Ohne Verurteilung und ohne Verherrlichung. Billy Crudup (Almost Famous) spielt diesen Fuckhead als liebenswerten, unerträglich lahmarschigen Taugenichts, der nur zu Gast in seinem eigenen Leben zu sein scheint. Regisseurin Alison Maclean, die hier den äußerst lesenswerten gleichnamigen Kurzgeschichtenband von Denis Johnson verfilmt hat, verbittet sich jeden Anflug von Zynismus gegenüber dem unterbelichteten Protagonisten. Die lose, sprunghafte Erzählstruktur entwickelt eine eigene tranceartige Logik. Wirkliches, Mögliches und Unmögliches vermischen sich unentwegt, ohne dass die Angelegenheit in modisch gestylte Traumsphären abkippt. Genauso wie das Gift im Körper die Verbindung zur Welt nachhaltig zerstört, verliert auch der Film immer wieder den Boden unter den Füßen. Einfühlsam, drastisch, absurd ist Macleans Junkie-Porträt und gerade durch seine surrealen Elemente hautnah an der Wirklichkeit.

Martin Schwickert

USA 1999 R: Alison Maclean B: Elisabeth Cuthrell, David Urrutia, Oren Moverman nach dem gleichnamigen Kurzgeschichtenband von Denis Johnson K: Adam Kimmel D: Billy Crudup, Samantha Morton, Denis Leary, Jack Black