»LA VIE DE JESUS«

Ganz viel Leere

Über das langsame Sterben in der ProvinzLa vie de Jesus ist ein Film über die Leere. Über die Leere auf der Straße, in der Landschaft, in den Köpfen, im Herzen und in Gesichtern. Wenn Freddy (David Douche) und seine Kumpels tagein tagaus mit ihren frisierten Mopeds durch das nordfranzösische Provinznest Bailleul rasen, sind sie die einzigen, die Bewegung in die dauernde Stagnation des Ortes bringen. Für kurze Zeit reißt die Stille auf und schließt sich wieder hinter dem knatternden Tross. Wie jede Aktion der arbeitslosen Jugendlichen ist auch dieses Ritual nur ein hilfloser Versuch, gegen die äußere und innere Leere anzukämpfen. Wenig später sitzen sie wieder draußen auf einer Treppe, blinzeln dumpf in die Sonne, sagen nichts, weil es nichts zu sagen gibt, wo nichts passiert.

Immerhin: Freddy hat eine Freundin, die Supermarktkassiererin Marie (Marjorie Cottreel). Sie küssen sich an Straßenecken und treffen sich wortlos, um in Freddys Mansarde im mütterlichen Hause miteinander zu schlafen. Roh und direkt zeigt Regisseur Bruno Dumont die dumpfe Lustbefriedigung, genauso wie die vorsichtigen Zärtlichkeiten nach dem Sex. La vie de Jesus ist kein Film der großen Worte. Die Dialoge beschränken sich auf wenige Scriptseiten, die Körperlichkeit der Protagonisten hingegen spricht Bände. Dumont hat seine Darsteller nicht aus den Karteien von Casting-Agenturen herausgesucht, sondern von den Listen des Arbeitsamtes seiner Heimatstadt Bailleul. Wie ein in sich zusammengefallenes Kraftpaket lehnt Freddy mit blankem Oberkörper und kurzgeschorenen Haaren an der Wand. Seine Bewegungen sind steif, die Haltung vom Nichtstun gebeugt, der Blick immer ausweichend. Wenn er einen seiner epileptischen Anfälle hat, verwandelt er sich in ein zuckendes Nervenbündel.

Wenn Freddy wütend ist, tritt er mit den Turnschuhen fünf bis sechsmal stumpf gegen die Hauswand. Mit der gleichen mechanischen Bewegung wird er am Ende des Films den Araber Kader (Kader Chaatuf), der sich an seine Marie herangemacht hat, einfach tottreten.

Ebenso beiläufig wie unausweichlich läuft der Film auf diesen rassistischen Mord hin, ohne ihn wirklich erklären, geschweige denn entschuldigen zu wollen. La vie de Jesus ist keine Sozialstudie über die Ursachen rassistischer Gewalt. Nüchtern und gleichzeitig fassungslos zeigt die Kamera, wie sich der harmlose Protagonist in einen Totschläger verwandelt. Wenn es Gründe für den Mord gibt, dann sind sie in dieser ausweglosen Leere zu suchen. Und die zeigt der Film im Cinemascope-Format in ihrer ganzen erdrückend gewalttätigen Dimension.

Martin Schwickert