»DIE JURY«

Flagge zeigen

Jetzt ist auch Grishams Debut-Roman verfilmt worden

Ein schwarzes Mädchen in einem friedlich verwahrlosten Ghetto auf dem Weg zum Einkauf. Ein junger, weißer Anwalt verläßt eine kleine Südstaatenvilla, winkt noch einmal Frau und Kind. Zwei unrasierte, weiße, junge Männer fahren sturztrunken mit einem Pick-Up durch die Gegend. In harter Parallelmontage zeigt Joel Schumacher Film Die Jury zu Beginn drei sauber voneinander getrennte Welten im Südstaaten-Amerika: Schwarzes Ghetto, weiße Upper-Middle-Class, White Trash.
Ein Verbrechen wird sie miteinander konfrontieren. Die beiden Unrasierten vergewaltigen die 10jährige Schwarze brutal, bringen sie fast um. Auch wenn die Täter schnell gefaßt werden, ist mit einer angemessenen Verurteilung kaum zu rechnen. Im Staate Mississippi mißt die Justiz Schwarz und Weiß immer noch mit zweierlei Maß. Carl Lee Bailey (Samuel L. Jackson), der Vater des Opfers, tut das, was man im Western seit je her in solchen Fällen tut. Er nimmt das Recht selbst in die Hand und erschießt die Vergewaltiger auf dem Weg zum Untersuchungsrichter mit einem Schnellfeuergewehr - aus dem Off eingespielte sakrale Gospelsongs lassen keinen Zweifel an der Gerechtigkeit dieses Blutbades. Der junge, nicht sonderlich erfolgreiche Anwalt Jake Brigance (Matthew McConaughey) übernimmt Baileys Verteidigung, und ein weiterer Gerichtsfilm nimmt seinen Lauf.
Man kennt das, es sind die genreüblichen Essenzen: Ein verzweifeltes "Einspruch, Euer Ehren". Vertagte Verhandlungen. Zeugen und Gutachter, die von der Gegenseite demontiert werden. Wichtige Beweisstücke, die von Helfershelfern in letzter Minute in den Gerichtssaal gebracht werden. Am Schluß fährt die Kamera langsam über die Gesichter der Geschworenen und darin liest man, daß es ganz schön schlecht aussieht für den netten Angeklagten. Jetzt schlägt die Stunde des Plädoyes. Mit einem rethorischen finalen Rettungsschuß, im vorliegenden Fall bricht der Mann sogar vor der Jury in Tränen aus, verhilft der tapfere Anwalt der Gerechtigkeit zum Sieg.
Was ist nur mit diesem Land los? Geradezu besessen überprüft das Hollywood-Kino in diesem Geschäftsjahr die Gerechtigkeitsparameter der amerikanischen Gesellschaft. Nach Dead man walking , Last Dance , Eye for Eye , auch in Die Jury wieder das Debattieren über Todesstrafe und Selbstjustiz. Der Prozess gegen den redlichen Rächer schwarzer Hautfarbe polarisiert die Bevölkerung im kleinen Städtchen Canton. Der Ku-Klux-Klan wird reaktiviert und bedroht den Anwalt, vertreibt dessen Familie, brennt sein Haus nieder. Schwarze Bürgerrechtler machen mobil, und wenn die Nationalgarde einreitet, um die verfeindeten Parteien voneinander zu trennen, erinnern die Bilder an die schwarzen Aufstände in L.A..
Auch wenn sich Joel Schumachers Film, der nach dem Romandebüt von John Grisham entstanden ist, sehr aufgeregt und politisch engagiert gibt, bleibt das Ganze doch eher eine brave Routinearbeit, die nichts zur Erneuerung des zur Zeit etwas überstrapazierten Gerichtsfilmgenres beiträgt. Daran kann auch die hochkarätige Besetzung (Sandra Bullock, Kevin Spacey, Ashley Judd, Donald und Kiefer Sutherland) nur wenig ändern.
Am Schluß siegt nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die hoffnungsfrohe Versöhnlichkeit. Die Welten, die zu Beginn des Films durch harte Schnitte voneinander getrennt waren, werden in einer Einstellung zusammengeführt. Wenn die Kinder des weißen Anwalts und des schwarzen Klienten miteinander zu spielen beginnen, wächst endlich zusammen, was zusammengehört, und irgendwo im Hintergrund weht, glaube ich, auch noch die amerkanische Flagge.

Martin Schwickert