JUST A KISS


Romeo & Julia

Ken Loach beobachtet eine multikulturelle Liebe

Eigentlich eine uralte Geschichte, die Ken Loach da erzählt. Von zwei Königskindern, die nicht zueinander kommen können. Von Romeo und Julia, deren Liebe zwischen den Montagues und Capulets zerrieben wird. Aber natürlich ist der linke britische Filmemacher nicht zu den Kinoromantikern übergelaufen, sondern bleibt seiner eigenen Art des sozialen Realismus treu, die er in Filmen wie Riff, Raff, Raining Stones, My Name is Joe und The Navigators seit den 60er Jahren perfektioniert hat.
Just a Kiss ist ein Film über die vermeintliche Unmöglichkeit der Liebe zwischen einem Pakistani und einer Irin im schottischen Glasgow der Gegenwart. Loach stellt die multikulturelle Gesellschaft auf den Prüfstand und lässt sie einen intimen Härtetest durchlaufen.
Casim (Atta Jaqub) ist in Großbritannien geboren. Sein Vater kam schon in den 50ern aus Pakistan nach Schottland und baute hier ein Geschäft und eine Familie auf. Casim träumt davon, als DJ einen eigenen Club aufzumachen - und seine Eltern träumen davon, dass er seine Cousine heiratet. Im Garten werden schon die Steine für den Anbau aufeinander geschichtet, in dem die junge Familie leben soll, als Casim sich in die Musiklehrerin Roisin (Eva Birthistle) verliebt. Immer wieder wird er zwischen seinen Gefühlen zu der weißen "Goree" und den Ansprüchen seiner Familie hin- und hergerissen.
Aber auch Roisin gerät unter Druck. Sie unterrichtet an einer katholischen Schule, und dass sie mit einem Moslem in wilder Ehe lebt, wird von den kirchlichen Arbeitgebern nicht geduldet. Casin und Roisin versuchen es aufrichtig miteinander. Manchmal wachsen sie an den widrigen Umständen. Mehrfach droht die Beziehung unter dem Druck der Intoleranz zu zerbrechen. Aber Just a Kiss zeigt nicht nur die rassistische Repression der Außenwelt, sondern auch die zahllosen inneren Sollbruchstellen, an denen die multikulturelle Liebesbeziehung zu scheitern droht. Kleinere Streitereien enden hier sehr viel schneller in prinzipiellen Auseinandersetzungen, und trotz aller Bemühungen bleibt immer ein Rest Unverständnis übrig.
Loach ist in der Beobachtung dieser Umkipp-Punkte sehr genau und zeigt auch hier - wie in fast all seinen Filmen - wie die politischen Verhältnisse in die persönliche Lebensgestaltung hineinregieren. Der große Schwachpunkt des Films ist jedoch, dass Loach sich nicht ernsthaft genug bemüht, die Gedankenwelt der pakistanischen Elterngeneration zu erforschen. Hier bleibt es bei Informationen aus zweiter Hand. Die Figuren sprechen nur selten für sich selbst und bleiben genau in jenen bekannten Stereotypen stecken, die Loach mit Just a Kiss eigentlich bekämpfen will. Damit wird ein Teil des dramatischen Potenzials der Geschichte verschenkt.
Loach ist eben nicht Shakespeare. Nicht die dramatische Wucht, die soziokulturelle Analyse interessiert ihn. Trotzdem wird das Liebespaar hier nicht zum Instrument der politischen Message, sondern entwickelt im Film sein eigenes Leben und eine emotionale Glaubwürdigkeit, die ohne Geigenklänge auskommt. Ihr Happy End haben sich die beiden jedenfalls tapfer erkämpft.

Martin Schwickert
Ae fond Kiss GB 2004 R: Ken Loach B: Paul Laverty K: Barry Ackroyd D: Atta Yaqub, Eva Birthistle, Gerard Kelly, Shabana Bakhsh, Ahmad Riaz