»KALMANS GEHEIMNIS«

Vergrabene Koffer

Das Leben mit bösen Erinnerungen

Im Antwerpen der frühen Siebziger lebt die junge Chaja (Laura Fraser) ihr unbeschwertes Studentinnenleben zwischen Campus, Tellerwäscherjob und wechselnden Beziehungen zu "revolutionären" Kommilitonen. Chaja ist die Tochter jüdischer Eltern, die als einzige ihrer Familie die Konzentrationslager überlebt haben. Die Kluft zwischen der lebenslustige Tochter und den traumatisierten Eltern ist groß. Chajas Vater (Maximilian Schell) zieht immer wieder verzweifelt mit Schaufel und Spitzhacke los, um einen auf der Flucht vergrabenen Koffer mit Familienfotos wiederzufinden. Die Mutter hingegen verweigert sich strikt der Erinnerung an den Holocaust und versucht vergeblich, sich das Leben durch ununterbrochenes Kuchenbacken zu versüßen. Chaja ist nicht religiös erzogen worden und ganz und gar den weltlichen Genüssen der 70er Jahre zugetan.
Das ändert sich, als sie einen Job bei einer orthodoxen chassidischen Familie annimmt. Mit den strengen puritanischen Sitten tut sich die flippige Studentin schwer. Als der fünfjährige, stumme Simscha jedoch unter Chajas Fürsorge zu sprechen anfängt, entwickelt sich langsam eine freundschaftliche Beziehung zu Frau Kalman (Isabella Rossellini), die in ihrer Mutterrolle oft genug an dem engen Regelwerk des Chassidismus verzweifelt. Durch die Erfahrungen im Hause der Kalmans setzt sich Chaja erstmalig mit jüdischer Religion und Identität auseinander.
Kalmans Geheimnis ist das Regiedebüt des Schauspielers Jeroen Krabbé nach dem Roman "Zwei Koffer" von Carl Friedman. Krabbé - selbst Sohn von Überlebenden des Holocaust - gehört zu der Generation, die er in der Figur der Chaja beschreibt. Um so mehr verwundert es, wie glatt er seine Geschichte über verdrängte Erinnerungen und den Generationskonflikt zwischen Opfern und Nachgeborenen der Shoah in Szene setzt.
Offensichtlich war Krabbé um den Unterhaltungswert seiner Geschichte besorgt und flüchtet sich vor allem im letzten Drittel in entbehrliche Überdramatisierungen. So erstickt die interessante Geschichte im Korsett der Erzählkonventionen, übrig bleibt ein gut gemeinter Film mit hervorragenden Schauspielern. Vor allem Isabella Rosselini beweist hier ihre Vielseitigkeit jenseits der gängigen Rollenklischees.

Martin Schwickert