»KANSAS«

Jam Session

Ein Film wie Jazz: Robert Altmans Blick auf die 30er

Die Art und Weise, wie Robert Altman seine Filme beginnen läßt, ist virtuos und unverwechselbar: Während die ersten Bilder ruhig ineinandergleiten, blättert der Altmeister innerhalb weniger Minuten Erzählstränge in großer Anzahl auf, so daß man sich als Zuschauer schon nach dem ersten Schluck Film leicht angetrunken fühlt.
In Kansas City beginnt alles am Bahnhof. Im Hintergrund swingt die Jazzmusik der 30er, die diesen Film nicht mehr loslassen wird. Im Herzen der USA gelegen, treffen hier in Kansas-City die Reisenden aus allen Himmelsrichtungen aufeinander. Scheinbar zufällig pickt sich die Kamera einzelne Figuren aus dem Menschengewühl: ein junges schwarzes Mädchen wartet auf eine weiße Lady, ein Taxifahrer etwas übernervös auf der Suche nach Kundschaft, ein korpulenter, offensichtlich gut betuchter Herr steigt aus dem Zug, eine junge Telegraphistin verläßt das Amt. Wenig später steht sie mit einer Knarre in der Hand im Schlafzimmer einer reichen Dame.
Altmans Eröffnungen sind Suchspiele, nur langsam werden die Geschichten miteinander verknüpft - oder bleiben für immer getrennt, wie damals in Short Cuts . Altman ist ein Meister des rhythmischen Erzählens, der Schnitt läßt die Bilder swingen, und Kansas City - das ist in Film gegossener Jazz.
24 Stunden im Kansas City des Jahres 1934. Die Wirtschaftsdepression kann dieser Stadt nichts anhaben. Die perfekt funktionierende Allianz von Mafia und Politik hat die Sache voll im Griff. Am morgigen Sonntag werden die Demokraten gewählt, das steht jetzt schon fest. Bestochene Wähler werden wie Stimmvieh auf LKWs verladen und von einem Wahllokal zum nächsten gekarrt. Kleine Ganoven haben es da schwerer: Johnny (Dermot Mulroney) steckt tief drin in der Scheiße. Er hat - mit Schminke als Schwarzer getarnt - den falschen Mann zur falschen Zeit überfallen und sich damit den schwarzen Gangster-Boß Seldom Seen (Harry Belafonte) zum Feind gemacht. Während Johnny im Hinterzimmer des Hey-Hey-Clubs festgehalten und verhört wird, ist vorne im Saal die Non-Stop-Session "Battle of Jazz" in vollem Gange. Die Frau mit der Knarre heißt Blondie O'Hara (Jennifer Jason Leigh), Telegraphistin bei der Western Union und Johnnys Frau. Sie entführt gerade Carolyn Stilton (Miranda Richardson), die Gattin des Präsidentenberaters.
Schwarze und weiße Mafia arbeiten strikt voneinander getrennt, kümmern sich um ihre eigenen Leute. Wer sich dazwischen begibt, hat schlechte Karten. Während Blondie vermeintlich cool und offensichtlich unprofessionell ihre Geisel durch die Stadt scheucht, nippt diese immer wieder am Laudanum-Fläschchen. Jennifer Jason Leigh (wieder mit dieser geradezu geschäftsschädigenden deutschen Synchronstimme ausgerüstet) als kettenrauchende Kämpferin auf verlorenem Posten und Miranda Richardson als scheinbar hilflose, dekadente Großbürgersgattin ergeben eine wirlich unnachahmliche Kombination. Die Geschichte geht ihren Gang, die Machtverhältnisse sind klar, und am Schluß gibt es zwei Tote.
Die Story von Kansas City hat wenig zu bieten, und vom narrativen Bringwert her betrachtet könnte man sicherlich einige Meter Film entfernen, ohne daß dies auffallen würde. Kansas City sträubt sich gegen effizientes Storytelling. So hat Harry Belafonte alias Seldom Seen immer wieder ausgiebig Gelegenheit, zynische Monologe über das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß zum besten zu geben - ein Zeitkommentar, der sich nicht ins Off verbannen lassen will.
Die Hauptrolle in diesem Film spielt jedoch die Musik: Robert Altman hat die Crème de la Crème der Jazz-Musik zusammengerufen. Musiker unterschiedlicher Stilrichtungen kommen hier zu einer furiosen Jam-Session zusammen, und nahezu ein Drittel des Films gehört dieser "Battle of Jazz". Selbst Jazz-Muffel werden hier den Fuß nicht ruhig halten können, genauso wenig wie Kamera und Schnitt sich dem eingängigen Rhythmus entziehen wollen. Und während die Bilder und die Erzählung so vor sich hin swingen, liefert Kansas City wie nebenbei ein atmosphärisch stimmiges Sittengemälde der USA in den frühen dreißger Jahren, dem man die etwas magere Story gerne verzeiht.

Martin Schwickert