KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE

Das Herz der Bestie


Das Interview zum Film

Die Essenz aller Michael Moore-Filme: Demokratisiert den Kapitalismus und seid nett zueinander

In den letzten zwanzig Jahren hat sich Moore ausführlich mit den Auswüchsen der freien Marktwirtschaft beschäftigt. In Roger & Me zeigte er, wie die Abwicklungspläne des Automobilkonzerns General Motors seine Heimatstadt Flint in den Ruin stürzten. In Bowling for Columbine attackierte er die amerikanische Waffenindustrie, in Sicko prangerte er die fehlende Gesundheitsversorgung in den USA an. Die Zeiten haben sich geändert, die Themen sind immer noch aktuell. Die staatliche Gesundheitsversorgung steht ganz oben auf der Agenda Obamas und wird von den Versicherungskonzernen torpediert. General Motors ist pleite und hat Firmen wie Opel mit in den Konkurs gerissen.

In seinem neuen Film gibt sich Moore nun nicht mehr mit der Erforschung der Symptome zufrieden, sondern dringt in Zeiten der Wirtschaftskrise zum Herzen der Bestie vor: dem Kapitalismus. Für einen Mann wie Moore ist die Bankenkrise natürlich ein gefundenes Fressen. Um auf die kriminellen Machenschaften der Börsianer hinzuweisen, zieht der Politaktivist um die Wall Street ein Absperrband, mit dem die Polizei normalerweise den Tatort eines Verbrechens absichert. Er zeigt, wie die Leute, die im Zuge der Krise ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, von der Polizei aus ihren Häusern geworfen werden und wie Immobilienspekulanten daraus erneuten Profit schlagen.

Und das ist erst der Anfang eines Rundumschlages, der die Gier als Triebfeder des kapitalistischen Systems an drastischen Beispielen vorführt. So sind viele amerikanische Großunternehmen - oftmals die gleichen, die gegen die Pläne zur gesetzlichen Krankenversicherung Sturm laufen - dazu übergegangen, Lebensversicherungen auf ihre Angestellten abzuschließen. Im Todesfall bekommen jedoch nicht die Hinterbliebenen das Geld, sondern die Firma. Anderenorts fährt ein privates Jugendgefängnis mit Hilfe eines Richters, der Teenager wegen Bagatelldelikten zu Höchststrafen verdonnert, Millionengewinne ein.

Die eindringlichen Beispiele obszönen Gewinnstrebens führen in Moores Argumentation zu einer einfachen Schlussfolgerung: Eine Gesellschaft, in der die Gier die entscheidende Triebfeder ist, ist nicht überlebensfähig. Dennoch sieht Moore Licht am Horizont. Dass ein Mann wie Obama zum Präsidenten gewählt wurde, ist auch für Moore ein Hoffnungsschimmer. Er zeigt obdachlose Familien, die die Häuser, die ihnen die Banken weggenommen haben, besetzen, und Arbeiter, die ihren eigenen Betrieb übernommen haben. Und er zeigt sich selbst und versucht dem Negativbild als gottloser Antiamerikaner, das seine politischen Gegner von ihm zeichnen, die eigene Identität als praktizierender Katholik entgegenzusetzen. Dass er dabei gelegentlich die Grenze zur unangenehmen Selbstdarstellung überschreitet, ist bei Moore kein neues Phänomen.

Sicherlich hätte Kapitalismus: eine Liebesgeschichte in seiner politischen Analyse der Krise scharfsinniger ausfallen können. Zu schnell schwingt Moore vom Horror des kapitalistischen Alltags hin zu seinem politischen Credo, das eine Demokratisierung der Wirtschaft einfordert. Als schlichte, aber notwendige Polemik gegen ein Wirtschaftssystem, das sein offensichtliches Versagen so beharrlich leugnet, kann der Film dennoch bestehen. Und in diesem unseren Land, das gerade die neoliberalen Krisenverantwortlichen für eine Handvoll Steuererleichterungen mit in die Regierung gewählt hat, gehört Moores Film ohnehin zur Pflichtlektüre.

Martin Schwickert

Capitalism - A Love Story. USA 2009 R&B: Michael Moore