DER KAUFMANN VON VENEDIG

Mixed Zone
Eine werktgetreue Verfilmung mit großer Besetzung

Obwohl es sich bei William Shakespeares Der Kaufmann von Venedig um eines seiner meist gespielten Stücke handelt, hat sich seit dem Ende der Stummfilmzeit kein Regisseur an eine Leinwandadaption gewagt, und das aus gutem Grund. Als Farce konzipiert und in einem England uraufgeführt, in dem es (zumindest offiziell) keine Juden gab, entpuppte sich die Geschichte einer verfallenen Geldschuld, für die der jüdische Kredithai Shylock aus den Rippen des Schuldners Antonio ein Pfund Fleisch schneiden möchte, in der Zeit nach dem Holocaust als zu gewagt für ein Massenpublikum außerhalb der renommierten Kulturtempel.
Dass sich Regisseur Michael Radford mit The Merchant of Venice auf das von vielen seiner Kollegen gefürchtete Risiko eingelassen hat, kann durchaus mit dem absteigenden Ast zu tun haben, auf dem sich seine Karriere seit Il Postino (1994) befindet. Eine genauere Betrachtung seines Films zeigt allerdings, dass die Entscheidung nicht notwendigerweise dadurch beeinflusst sein muss, dass er wenig zu verlieren hatte. Mithilfe eines Lauftexts zur Situation der Juden im Venedig des späten 16ten Jahrhunderts rückt er die Handlung in einen klaren, geschichtlichen Kontext, um so die Rolle des Shylock - im Stück zu großen Teilen mehr Karikatur als Charakter - in die Nähe eines Zeitdokuments zu rücken; außerdem besetzte er mit Al Pacino einen Schauspieler, dessen Karriere in den letzten 20 Jahren mehr und minder auf überlebensgroßen, stark karikierenden Darstellungen fußt.
Während diese beiden Entscheidungen sich tatsächlich als Glücksgriffe entpuppen, ist es Radford sichtlich schwer gefallen, die tragischen und komödiantischen Ebenen des Stücks zu vereinen zu sehr hat man das Gefühl, zwischen zwei Filmen zu springen, von denen einer durch Humor und Mummenschanz, ein anderer durch Leid, Unverständnis und den Geruch von Mottenkugeln geprägt ist. Auch die Darsteller lassen sich problemlos in diese beiden Kategorien einordnen: ein blasser Joseph Fiennes in der eigentlichen Hauptrolle des Bassanio und ein chargierender Kris Marshall (der notgeile Kellner aus Tatsächlich Liebe) mögen noch so eben in den komödiantischen Teil des Films passen, wirken neben Kalibern wie Pacino und einem brillant traurigen Jeremy Irons als Antonio in dramatischen Momenten jedoch arg deplaziert.
Man kann am "Kaufmann von Venedig" viel Lohnenswertes finden: allein Pacinos bravouröse Darstellung des Shylock als geldgeiler, hasserfüllter Semit ist zumindest das halbe Eintrittsgeld wert; auch Radfords Entscheidung, die in Shakespeares Stück angedeutete homoerotische Beziehung zwischen Antonio und Bassanio deutlicher auszuspielen, erweist sich als dramatisch ergiebig. Die uneinheitliche Struktur, für die man je nach Lust und Laune entweder Radford oder Shakespeare verantwortlich machen kann, ist jedoch das größte Manko eines Films, der trotz schöner Kameraarbeit und opulenter Ausstattung nicht mehr sein will als abgefilmtes Theater.

Karsten Kastelan
USA 2004. R: Michael Radford. D: Al Pacino, Jeremy Irons, Joseph Fiennes, Lynn Collins, Zuleikha Robinson, Kris Marshall, Charlie Cox.