KILL BILL 1

Aus Liebe zum Kino

Uma Thurman rächt sich stundenlang

Ein kleines Stück nur wird das Schwert aus der Scheide gezogen. Es folgt ein kurzer Moment der Andacht. Dann saust die Klinge mit einem peitschenden Geräusch heraus. Ehrfurchtsvoll wird das Instrument mit beiden Händen gewogen. Feinster japanischer Edelstahl. Griff und Klinge perfekt austariert. So scharf, dass man Schädel damit entzwei schlagen kann. So blank, dass sich die Gesichter der Gegner darin spiegeln. Das Schwert ist der eigentliche Star in Kill Bill . Es liegt in den schönen, großen Händen von Uma Thurman, fegt mit ihr durch den Raum, zerlegt graziös eine ganze Legion von Yakuza-Kämpfern und wird auch einmal dazu benutzt, einem Kindersoldaten den Hintern zu versohlen. Es lässt Köpfe und Gliedmaßen malerisch durch die Luft fliegen. Aus den Restkörpern spritzt das Blut in meterhohen Fontänen heraus. Denn schließlich gehört die zweite Hauptrolle ihm, dem Blut. Kein Horrorfilmblut, darauf legte der Meister großen Wert, sondern Samuraiblut. Das ist heller, röter und vor allem spritziger. Es ist wie Tinte. Man kann damit schreiben und malen. Man muss nur wissen wie.
Tarantino weiß es. Er hat die Sprache der Samurai- und Kung-Fu-Filme, für die er in Kill Bill seinen Altar aufbaut, jahrzehntelang in Billigkinos und Videotheken studiert. Es mag paradox klingen, aber Kill Bill , der in Vorberichten schnell die Warenbezeichnung "ultrabrutal" verliehen bekam, ist für Tarantino eine Herzensangelegenheit, eine Liebeserklärung an ein Kino, in dem physische Präsenz und Kampf-Choreografie mehr zählen als ausgetüftelte Storylines.
So passt die Handlung von _Kill Bill_ in einen Satz d.h. eigentlich in ein Wort und das ist: Rache. Uma Thurman spielt die blonde Rächerin. In ihrem ersten Leben war sie unter dem Künstlernamen "Black Mamba" als Attentäterin unterwegs, bis die Arbeitskollegen der "Deadly Viper Assasination Squad" den Berufsausstieg vereitelten, indem sie ihre Hochzeitsgesellschaft samt Bräutigam und ungeborenem Kind niedermetzelten. Die Braut überlebte, und nach vier Jahren Koma zieht sie als Racheengel aus, im Gepäck ein Schwert und eine Todesliste. Am Ende von Kill Bill 1 - der zweite Teil folgt im Februar 2004 - sind zwei der fünf Namen durchgestrichen. Eine Kollegin (Vivica A. Fox) stirbt mit dem Messer in der Brust in ihrer Einbauküche, die andere (Lucy Liu), ihres Zeichens Chefin der Tokioter Mafia, weitaus aufwendiger in einer zwanzigminütigen Schwertkampforgie.
Trotz all der Verehrung für asiatisches Kampfkunstkino - Tarantino ist kein willenloser Nachahmungstäter, sondern ein cineastischer Jongleur, der mit den Versatzstücken aus den Kung-Fu-Filmen der Gebrüder Shaw, japanischen Martial-Arts-Klassikern und Zeichentrickfilmen sowie den Spaghetti-Western von Sergio Leone seine eigene Form des West-Eastern kreiert.
Sechs Jahre mussten die Fans auf Tarantinos vierten Film warten. Nach Jackie Brown unkten schon viele das, "enfant terrible" Hollywoods sei gezähmt. Aber auch wenn der Blutzoll in Kill Bill wieder deutlich angehoben wurde, hat der Film doch wenig mit Pulp Fiction und Reservoir Dogs gemein. Es fehlt die gewohnte kongeniale Geschwätzigkeit der Figuren. Die Dialoge sind auf ein Minimum reduziert. Uma Thurman sagt wenig. Aber jeder Satz sitzt wie ein Schwerthieb. Keine andere hätte besser in diesen knallgelben Kampfanzug (ein Nachbau aus Bruce Lees Game of Death ) hineingepasst. Vertraut hingegen ist die Vor-und-Zurück-Dramaturgie, mit der Tarantino seine in Kapitel unterteilte Geschichte bloß-nicht-chronologisch anordnet. Jede Episode hat ihren eigenen Stil - Licht, Farben, Rhythmus und Tempo werden immer neu arrangiert.
Wirklich begnadet ist Tarantinos Musikauswahl, mit der die Brutalität so mancher Szene ironisch unterlaufen wird. Wenn Thurman und Lucy Liu im Kunstschnee eines japanischen Dachgartens lauernd gegeneinander antreten, wird ein Flamenco eingespielt, mit dem schon Santa Esmeralda in den 70ern ihren Hit Dont let me be misunderstood einleitete. Der gute, alte James Last ist auf dem Soundtrack ebenso vertreten wie eine Leitmelodie, die sich verdammt nach Gheorghe Zamfirs "Zauber der Panflöte" anhört. Und das frappierende an Tarantinos Score ist, dass der letzte Billigpop im Verbund mit den Bildern ungeheuer stilvoll klingt. Sicherlich ist Kill Bill aufgrund seiner exzessiven Gewaltinszenierungen kein Film für Zartbesaitete. Aber er ist durchdrungen von einer aufrichtigen Liebe zum Filmemachen, wie man sie heute nur noch selten im Kino zu spüren bekommt.

Martin Schwickert

USA 2003 R&B: Quentin Tarantino K: Robert Richardson D: Uma Thurman, Lucy Liu, Daryl Hannah