»DER GESCHMACK DER KIRSCHE«

Wer begräbt mich?

97 mit der Goldenen Palme prämiert

Wie reagiert man, wenn man gebeten wird, bei einem Selbstmord behilflich zu sein? Nicht bei der Ausführung - nur beerdigt werden möchte der Mann, im Morgengrauen, nach vollbrachter Tat. Geld bietet er und sucht sich deshalb Angehörige unterbezahlter, sozial benachteiligter Minderheiten aus, als Zielgruppe für sein Anliegen: einen jungen Soldaten, einen afghanischen Kiesgrubenwächter, einen armen Theologiestudenten, einen alten Mann mit krankem Kind.

Warum Herr Badii sterben will, verrät er nicht, das gehe auch seinen Helfer nichts an. Aber ein Herr ist er, Besitzer eines Range Rover, ein gebildeter und vergleichsweise wohlhabender Mann, wenn auch müde, vielleicht krank, vielleicht einfach nur resigniert. In den trostlosen gelbbraunen Kieswüsten im Norden von Teheran fährt er mit dem Jeep die immer gleichen Straßen ab. Das Grab unterhalb eines kleinen Baumes an einem dieser einsamen Wege ist schon gegraben, aber meint Herr Badii es wirklich ernst? Mit seiner Zumutung drängt er sich Personen auf, die sich ihm nur entziehen, nicht widersetzen können, genau wie es Kiarostami mit seinen Laiendarstellern von jeher zu tun pflegt.

Ob Badii zum Ziel gelangt, kann der Zuschauer nur vermuten. Am Ende findet er in dem Tierpräparator Bagheri jemanden, der selbst schon einmal kurz vor dem Selbstmord stand. Er hat sich für das Leben entschieden, weil eine Maulbeere ihm im richtigen Moment den Geschmack daran zurückgab. Hat Badii seine Maulbeere nur noch nicht gefunden?

Wichtiger als das Ergebnis ist die Entscheidung selbst. Sie trägt ihr Ziel in sich, und wo es für Herrn Badii nur steinige Wege gab und Staub, da blühen im Epilog die Bäume, und Menschen genießen eine Arbeitspause. Kiarostami dreht, und Herr Badii steht mittendrin. Der Geschmack der Kirsche ist eine Hymne auf die Freiheit der Wahl - auch des Todes. Deshalb wurde er im Iran beinahe mit Exportverbot belegt und dann in Cannes '97 prompt mit der Goldenen Palme geehrt

CMB