»KITCHEN«

Bilder von weit weg

Yim Hos »Kitchen«: Mehr als Kochen in Asien

Der westliche Kinobesucher verbindet mit Hongkong-Kino vor allem Material-Arts-, Kampfsport- und Baller-Orgien, irgendwo zwischen John Woo und Jackie Chan. Der westliche Kinobesucher verbindet mit dem japanischen Kino einfühlsame, gesellschaftskritische Familiendramen rund um kraftvolle Meister wie Yasujiro Ozu oder Akira Kurosawa. Und der westliche Kinobesucher wird mit Kitchen großes, poetisches Kino verbinden, das als Coproduktion das Beste und Sinnlichste aus beiden Reichen verbindet.
Selten hat mich ein Film derartig beeindruckt wie Kitchen. Hauptsächlich war es die visuelle Kraft, die mich nach dem Kinobesuch immer noch in einem Art Rauschzustand hielt und mir noch jetzt einen wohligen Schauer über den Rücken laufen läßt. Kitchen ist all das, was ich je von Kino wollte, denn neben der visuellen hat auch die inhaltliche Ebene ihren Reiz. Kein Wunder, denn Banana Yoshimoto, die Autorin des gleichnamigen Romans, gehört seit ihrem literarischen Debüt zu den angesagtesten Talenten Japans, und Regisseur Yim Ho lehnt seinen Film sehr dicht an die Vorlage an.
Die junge Auggie weiß nicht wohin seit dem Tod ihrer Großmutter. Der flippige Louie, eine Art Jekyll & Hyde, tagsüber Frisör, nachts wilder Casanova, nimmt sich ihrer an. Seine Mutter, die eigentlich mehr ist als an dieser Stelle verraten wird, weiß um den Trennungsschmerz von einer geliebten Person. Das Trio Infantile wächst immer mehr zusammen, und es scheint sich sogar eine zarte Bande zwischen Auggie und Louie anzubahnen, doch plötzlich eskaliert die Situation.
So fremd dem westlichen Zuschauer manchmal das Reich der aufgehenden Sonne erscheint, umso näher und faszinierender wirkt dieser Film auf ihn. So wird durch eine langsame Kamerafahrt durch die Familienküche im Vollmondlicht das Bild der suizidgefährdeten, messerhaltenden Auggie derart intensiv eingefangen, daß es den Betrachter schon bei ihrem Anblick und dem bloßen Gedanken an die zu erwartende Handlung zutiefst innerlich schmerzt. Auch hier bemerkt man, wie gut es Ho gelingt, den Zuschauer für die Charaktere zu gewinnen. Wunderbar auch die Szene, in der Auggie versucht, den Mond hoch über der Stadt einzufangen. Hier spürt man jene wortlose Schönheit, die das asiatische Kino schon immer auszeichnete und die in vielen europäischen Filmen so bemüht wirkt. Kitchen ist ein hervorragendes Beispiel für cinematographische und erzählerische Raffinesse. Kino öffnet nun mal Grenzen und beherrscht zudem die weltumfassende Sprache der Bilderfluten.

Nikolaj Nikitin