KLIMT

Nackig ab 6

Ein Maler langweilt sich - wir können das nachfühlen.

Das gehört in eine Zeit, als es in Wien unerträglich schwül gewesen sein muss. Die Herren Klimt, Kokoschka und Schiele brachten über Jahrzehnte hinweg die akademische Malerei ziemlich in Hitze. Manchmal wegen ihrer Sujets - viele nackte Damen - meistens wegen ihrer Kunstauffassung und Technik. Herr Klimt, beispielsweise, klebte Blattgold auf seine Bilder und malte gerne in der Art, die heute als "frontal nudity" im US-Kino immer noch nicht vorkommen darf. Heute betrachten wir diese nah am I. Weltkrieg angesiedelte Phase als Einbruch der Dekadenz in die Moderne; man kann auch "Jugendstil" dazu sagen.

Von all dem handelt Raoul Ruiz' Film nicht. Er heisst zwar so, und John Malkovich - seit Jahren Ruiz' Hausschauspieler - spielt tatsächlich einen Maler namens Gustav Klimt, der auch offensichtlich so malt wie sein historisches Vorbild. Aber der Film begreift sich eher als "philosophische Reflexion" denn als Bio-Pic.
Klimt, soweit wir das verstehen, vögelt und malt gern, in dieser Reihenfolge. Grade will er die Doppelgängerin einer Tänzerin, die er in einem Kurzfilm sah, gerne vögeln und dann malen. Das scheint schwierig zu sein, auch wenn wir das nicht genau verstehen, denn die Dame läßt sich ebenso gerne vögeln wie malen. Trotzdem: Klimt ist unglücklich.
Das könnte auch damit zu tun haben, dass er Syphilis hat, andererseits schaut er recht fröhlich durchs Mikroskop eines befreundeten Arztes, der ihm offensichtlich die eigenen Zellen im vorletzten Verfallsstadium präsentiert. Klimt lächelt, denn jetzt würde er gerne wieder was vögeln.
Zuvor drückt er einem Kollegen eine Torte ins Gesicht, weil der gesagt hat, alles Ornamentale sei bedeutungslos. Dass Klimt, der eigentlich nur ornamental gemalt hat, das übel nimmt, kann man verstehen. Dann trifft er Veronica Ferres (die er unbegreiflicher Weise nicht vögelt) und erklärt ihr, ihm sei eigentlich alles scheißegal und dass es jetzt allein auf Paris ankomme, wo seine Bilder gerade ausgestellt werden.
Es ist der ungeheuren Contenance John Malkovichs zu verdanken, dass dieser Film nicht nach 5 Minuten in der eigenen Lächerlichkeit ersäuft. Gleichsam somnambul geht er durch diese gefilmte Dekorationssammlung, spricht Sätze, die eigentlich niemand sprechen kann und muss sich für diesen Film nicht einmal ausziehen. Man sieht ihm aber in jeder Szene an, dass er nicht versteht, was er da tut. Man möchte ihm zuwinken und rufen "Huhu, Mr. Malkovich, wir verstehen es auch nicht, aber es sieht verdammt gut aus, vor allem die nackten Damen".
Damit wir noch weniger verstehen, ist das alles als Rückblende angelegt, angereichert durch Traumszenen. In denen stellt Klimt am Ende fest, dass die Welt keinen Ausgang hat. Dann muss er sterben, obwohl er gerne noch was gevögelt hätte. Aber man kann nicht alles haben. Immerhin ist er in die Kunstgeschichte eingegangen. Raoul Ruiz wird das wohl nicht passieren.
In den Credits steht "Nach einer Idee von Herbert Vesely". Der lang schon verstorbene Vesely hatte 1981 einen ähnlichen Murks über den Maler Egon Schiele gedreht, damals mit Matthieu Carriere (als der noch Schauspieler war) und vielen nackten Damen, weshalb der Film "ab 16" freigegeben war und deshalb immer sehr spät und selten im Fernsehen zu sehen war. Klimt ist, obwohl genau so nackig und wirr, "ab 6" und wird mal sehr früh in der ARD zu sehen sein, die (neben anderen Förderern) Geld in diesen Film gesteckt hat. Wenn man sich die Dekorationen ansieht, muss es sogar viel Geld gewesen sein.
Dass die Anhäufung nackter Damen 25 Jahre später statt nur von 16jährigen (die sich Zurecht dafür interessieren) jetzt von 6jährigen goutiert werden kann, mag man als kulturelle Überhitzung betrachten. Oder als Ausdruck sittlicher Gelassenheit. Dass für diese philosophische Reflexion der Vesely-Film noch mal gedreht werden musste - das wär' wirklich nicht nötig gewesen.

Thomas Friedrich

Ö/F/D/E 2005. R&B: Raoul Ruiz. K: Ricardo Aronovich. D: John Malkovich, Veronica Ferres, Saffron Burrows, Stephen Dillane