»LARRY FLYNT«

Der am Bär packt

Oliver Stone kennt keine Parteien mehr - und Milos Forman wird Weltmeister im Blumenstecken

Einer der wenigen Filme, bei denen man das Gehirn nicht an der Popcorn-Theke abgeben muß" - urteilte der durchaus konservative Wall Street Journal-Kritiker im Mutterland der Prüderie; "Der beste Film des Jahres" - machte das deutsche Intellenz-Blatt Prinz schon vor dem Bären den Larry; die FAZ fand den Mut zur unbequemen Verfassung immerhin erheblich; der Feminismus erbrach sich; der Katholische Filmdienst entdeckte ein wichtiges Plädoyer für Freiheitsrechte am gerade gelogenen schlechten Beispiel ... und falls Milos Forman dafür seinen dritten Oscar kriegen sollte, dann sicher nicht, weil die amerikanische Filmakademie plötzlich das Denken gelernt hätte.

Schon eher aber, weil die Fronten von politischer Liberalität und gesinnungspolizeilicher Korrektnis heute so unübersichtlich durcheinanderlaufen, daß man fast gar nichts mehr begreift. Jedenfalls kaum was von Larry Flynt und noch weniger in Larry Flynt. Und nur ein bißchen von Oliver Stone, der seine krankhafte Liebe zum Land der Freien nach Nixon nun am nächsten National-Ekel abarbeitet. Passend zum Helden hier nur als Produzent. Und überraschend mit Milos Formans erster die Gegenwart immerhin streifender Regie.

Denn Larry Flynt lebt, und verdient sich seinen zweiten goldenen Rollstuhl mit einem Schmuddel-Blatt-Imperium und inzwischen einer richtigen Literatur-Zeitschrift. Das ist mindestens so komisch, als erschiene der Merkur bei Frau Uhse, aber wie das zusammengeht, darum kümmert sich der Film nicht. Sondern er hört Ende der Achtziger auf, als Flynt vor dem obersten Bundesgericht das Recht erstritt, dem obersten Moralwächter des Landes frühkindlichen Sex mit der eigenen Mutter nachzusagen. Und er beginnt tief im Hinterland, als Jung-Larry Schwarzbrantwein vom Bollerwagen verkauft - und seinem Vater nichts abgibt. So ein Früchtchen.

Schnitt. Irgendwie ist Flynt (Woody Harrelson, der L.F. klar als Citizen Kane für die Nach-70er anlegt) an einen maroden Nacht-Club gekommen, beschläft alle Tänzerinnen ("sechs mal am Tag", aber man sieht nichts) und erfindet, zunächst nur als Reklame für die Live-Shows, den Hustler, das nackteste Revolverblatt der Stadt. Irgendwie geht das dann USA-weit an den Kiosk, irgendwie kriegt er Paparazzi-Fotos von Jackie Onassis ins Blatt - und längst mogelt sich der hektische Dokumentar-Episoden-Stil mit perfektem Design (die Schlaghosen zum Beispiel scheinen von Formans Hair übriggeblieben zu sein) von der geschönten Lebensgeschichte ins Thesen-Theater weg.

Mal schockiert der Maniac seine libidinösen Freunde mit angelesener Ideologiekritik am Playboy ("Der verachtet euch. Wollt ihr wirklich Kurzgeschichten und Whiskey-Rezepte? Nein, ihr wollt Weiber.") - mal kippt die fröhliche Promiskuität in kitschigste "ewige Liebe" (weshalb Larry alle 4 Flynt-Ehefrauen in der letzten bündelt, und deren Bi-Sexualität sofort vergißt, wenn es romantisch ans Herz geht - Courtney Love schafft den Wechsel aber bravurös) - mal tarnt sich das barste Geschäftsinteresse als Kampf für die Freiheit der Meinung.

Darin vor allem ist Flynt wichtig - und falsch, Kunst - und zum Kotzen: nach den ersten Prozessen hält Larry eine geschickt als Perversion des Präsidenten-Wahlkampfs präsentierte Ansprache über Obszönitäten: gespreizte Beine oder Auschwitzopfer, Sex oder Ordensspangen, Gynäkologie oder Napalm - was ist schlimmer? Groß werden Sex-Fotos und Kriegs-Greuel über das Plädoyer projiziert. Aber kein einziges Hardcore-Motiv aus dem echten Hustler, damit das Feind-Bild nicht verrückt. Wenn auch ein Nebensatz einräumt, daß L.F. das ganze applaudierende "Komitee für Pressefreiheit" einfach gemietet hat.

Später wird Larry zum wiedererweckten Christen (hier verstehen Europäer einfach garnichts mehr), später wird er von einem Irren zum Krüppel geschossen, später verdämmert er Jahre im Drogenrausch, später kehrt er geschmackloser und kämpferischer denn je zurück ...

Und noch später weiß ich immer noch nicht: muß ein Märtyrer für das Bürgerrecht unbedingt ein Rüpel sein - und wenn ja, erlischt die Brisanz der Geste nicht mit jedem Preis dafür? Darf man zur Verteidigung der Pornografie als Meinungsbeispiel vor jedes Geschlechtsteil auf der Leinwand eine Blumenvase stellen, und die Hauptperson auf dem Plakat an einen nationalfarbenen Slip kreuzigen - oder muß man, weil Milos Forman das Motiv gerade in Belgien wieder zurückzog? Müßte man etwa Peter Gauweiler den Bundesadler schändend zeigen, um das Flynt-Gefühl hier nachzustellen? Gerade weil man es wohl vor unserem Verfassungsgericht nicht durchkriegte? Oder umgekehrt P.G. als Galleonsfigur der Libertinage in Bronze gießen, damit auch wahrhaft korrekt Gesinnte merken, daß geschmacklich strittigste Ehrabschneidungen der Demokratie förderlich sind? Ich weiß es nicht, aber weil Larry Flynt das eben nicht so genau wissen will, würde ich ihm keinen Oscar mehr auf den Bären packen. Obwohl Napalm natürlich verachtenswerter ist.

WING