»LEBEN UND LIEBEN IN L.A.«

Altmännchen

»Short Cuts« in der Lenor-Fassung

Als Robert Altman 1993 mit Short Cuts die geschlossene Erzählweise zugunsten einer lockeren Episoden-Struktur auflöste, war das der Einsicht geschuldet, das die Welt und die Menschen in ihr zu kompliziert sind, um sie in konventionellen Dramaturgien einzusperren. Altmans virtuos erzähltes Sittengemälde der 90er rief viele Nachahmungstäter auf den Plan, und P.T. Andersons Magnolia war vielleicht der erste Film, der es mit Short Cuts aufnehmen konnte. In Willard Carrolls Leben und Lieben in L.A. lässt sich nun eindrücklich studieren, wie das Altman-Konzept in der Hollywood-Maschinerie auf den Hund gekommen ist. Scheibchenweise serviert Carroll eine Handvoll Stories über das schwierige Paarungsverhalten neurotischer Großstädter. L.A. ist hierfür eine bewährte Kulisse, denn in der Stadt ohne Zentrum leben die Menschen besonders hübsch aneinander vorbei. Prototypisch werden verschiedene Beziehungsmodelle vorgeführt: Gracie (Madeleine Stowe) ist von ihrer Ehe angeödet und frönt dem sexuellen Pragmatismus mit kontrollierten Seitensprüngen. Die attraktive Quasselstrippe Joan (Angelina Jolie) hüpft von einer Party zur nächsten und beißt sich ausgerechnet an dem schweigsamen Keenan (Ryan Phillippe) fest, der sie vehement verschmäht.
Mauerblümchen Meredith (Gillian Anderson) kommt über vergangene Enttäuschungen nicht hinweg und traut auch dem schmucken Architekten Trent (Jon Stewart) nicht über den Weg. Hannah (Gena Rowlands) und der tumorerkrankte Paul (Sean Connery) stecken kurz vor ihrem 40. Hochzeitstag in ihrer ersten Ehekrise. Für tragische Momente sorgt der AIDS-kranke Mark (Jay Mohr), der auf dem Sterbebett gemeinsam mit seiner Mutter (Ellen Burstyn) alle Lebenslügen über Bord wirft. So viele Schicksale geschrumpft auf 120 Kinominuten, da reden die Protagonisten nicht lange drumherum. Hastig wird der Bauchladen aufgeklappt und paarweise über komplexe Gefühlswelten diskutiert. Über weite Strecken hören sich die Dialoge an wie das Protokoll eines überfüllten Selbsterfahrungsseminars. Erklärtes Therapieziel ist es, durch aufrichtiges Miteinander zu stabilen Paarbeziehungen zu gelangen.
Die alles versöhnende Schlusswendung erfüllt diese Zielvorgabe dann auch über Gebühr und haut dem Schmalzfass den Boden aus. Altmans Erzählkonzept, das grundverschiedene Lebenswelten gleichberechtigt miteinander verwoben hat, wird in Carrolls seichtem Remake mit einem zwanghaften Massen-Happy-End schamlos pervertiert.

Martin Schwickert