LEMONY SNICKET - RÄTSELHAFTE EREIGNISSE

Blümchen des Bösen
Jim Carrey quält Kinder und Erwachsene

Erfahrene Erwachsene sehen sofort: hier waren die Ausstatter am Werk, denen Tim Burtons Filme ihren Look verdanken; es wird also sicher eine Schau. Besorgte Eltern warnt die Show gleich im Vorspann: "Wer Geschichten über glückliche Elfen sehen will, muss in ein anderes Kino gehen". Und unterhaltungs-entschlossene Kinder sind von den gotischen Nebeln, der blaugrünbraunen Düsternis über allem und dem dazwischen-quatschenden Erzähler verunsichert: "Es wird alles noch viel schlimmer kommen". Das soll lustig sein?
Ist es. In Amerika sind die Bücher Lemony Snickets ein Phänomen. Trotz garstigster Details wurde die Serie "unerfreulicher Begebenheiten" um Viola, Klaus und Sunny nach dem Tod ihrer Eltern (und etlicher Verwandter von Folge zu Folge) ein Hit für Teens. In Deutschland verstauben Potters blutige Waisen-Geschwister im Regal. Erst mit dem Film kommen die Romane noch einmal heraus, dazu Computerspiele, Sammelbildchen und sonstiger Schnickschnack. Ist das eine Kult- oder eine Kulturtat?
Mal sehen: den Kindern der Baudelaire-Familie - der erfindungsreichen 14jährigen Viola (Emily Browning, hinreissend kühl), dem belesenen 12jährigen Klaus (Liam Aiken, hölzern) und Baby Sunny (Kara & Shelby Hoffman, mit Untertiteln brabbelnd) - werden meuchlings Eltern samt Elternhaus abgebrannt. Schmierenkomödiant Olaf (Jim Carrey - als würde der Grinch Hannibal Lecter geben), nimmt die Waisen zu sich, will aber nur die Erbschaft und sinnt auf Mord.
Wo immer die Kinder von nun an auch hin flüchten, scheinen ihre Retter zu sterben, und Olaf taucht in wechselnden Masken mit fiesester Absicht auf.
So schludert sich der Film durch die ersten 3 Snicket-Bände. Statt eines Spannungsbogens gibt es viele skurrile Episoden. Es gibt beeindruckende Dekors, die Regisseur Brad Silberling (seit "Caspar" auf harmlos geeicht) erstaunlich wenig ausnutzt. Und es gibt überhaupt kein Herz. "Lemony Snicket" ist eine Kindergeschichte für Erwachsene, wo "Harry Potter" eine Erwachsenengeschichte für Kinder war.
Beim Showdown taucht Dustin Hoffman als Kritiker bei einer Theater-Aufführung auf, die Olaf inszeniert, um auf der Bühne intrigant Viola und ihr Erbe "in echt" zu heiraten. "Ich wusste gar nicht, dass er so ein Budget hat" staunt Hoffman über eine funkensprühende Flugapparatur, und was tut Silberling: er zeigt lieber das Gebastel hinter der Fiktion in der Fiktion als echte Production Values.
Snickets ironische Gothic ersetzt im Buch Herz durch Blut, das hat seinen Reiz; im Kino sollten Vollwaisen aber doch etwas mehr Rührung zeigen, wenn etwa Ersatz-Mutter Meryl Streep im Seufzersee ersäuft. Dass der Film-Erzähler das fehlende Bild mit "ihr könnt euch das sicher vorstellen" überbrückt, ist aber eine so schöne Verbeugung vor der Braut des Prinzen, dass Erwachsene sofort in die Buchhandlung rennen sollten.

WING
Lemony Snicket's - A Series of Unfortunate Events. USA 2004. R: Brad Silberling, B: Robert Gordon K: Emmanuel Lubezkin, D: Emily Browning, Liam Aiken, Kara & Shelby Hoffman, Jim Carrey, Meryl Streep