Le Passé

Zurück in die Gegenwart

Ein präzises Familiendrama über Geschichten und Vergangenes

Vorsicht, das ist frisch gestrichen" sagt Marie immer wieder zwischendrin, wenn Ahmad sich an einem Türpfosten oder einer Wand anlehnen will. Nicht nur wegen der Farbe weist sie darauf hin, sondern auch, weil sie nicht möchte, dass er es sich in irgendeiner Weise gemütlich macht in dem Haus, das sie einmal gemeinsam bewohnt haben.

Alles ist hier im Umbruch. Die Türen sind angeschliffen, Farbeimer stehen im Wege, Bücherregale sind provisorisch mit Plastikplanen verhangen. Die Vergangenheit wird überstrichen und soll von einer neuen Zukunft abgelöst werden.

Vor einigen Jahren hat Ahmad Marie verlassen und ist wieder zurückgegangen in den Iran, weil er das Leben in Paris nicht ausgehalten hat. Nun soll die Trennung vor dem Scheidungsrichter auch juristisch vollzogen werden. Deshalb ist er zurückgekommen, und weil Marie ihn gebeten hat mit ihrer Tochter Lucie zu sprechen, die Samir, den neuen Lebensgefährten der Mutter, mit einer Radikalität ablehnt, wie es nur pubertierende Teenager können. Und so versucht sich Ahmad als Vermittler, während es ihm selbst schwer fällt, sich mit der gescheiterten Liebe zu konfrontieren.

In seiner ersten französischen Produktion Le Passé verhandelt der iranische Regisseur Asghar Farhadi, der bei der Berlinale 2011 für Nader und Simin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, erneut einen familiären Trennungsprozess und beweist, dass er auch ohne den politisch aufgeladenen Kontext seines Heimatlandes spannende und zutiefst menschliche Geschichten erzählen kann. Ohne Umschweife steigt der Film mitten hinein in dieses komplexe Patchwork-Familien-Gewebe. Schicht für Schicht deckt er das Wesen der einzelnen Figuren auf und dringt immer tiefer ein in die dramatischen emotionalen Verflechtungen.

Die Menschen in diesem Film tun sich schwer damit, das Vergangene loszulassen, obwohl sie wissen, dass sich Geschehenes nicht wiedergutmachen und zerronnenes Lebensglück nicht wieder herstellen lässt. Samirs Frau, die nach einem Selbstmordversuch im Koma liegt, ist hier mehr als nur ein tragisches Bild für die Unumkehrbarkeit zerstörerischer Handlungen.

Die Aufschlüsselung ihrer Motive wird zum Ausgangspunkt für die detektivische Recherche der dramatisch ineinander verschlungenen Emotionen. Daraus entwickelt Farhadi einen atemberaubenden Film, der jeder einzelnen Figur tief in die Seele schaut und von einem aufrichtigen, aber vollkommen unsentimentalen Mitgefühl durchdrungen ist.

Empathie im Kino - das zeigt Le Passé auf exemplarische Weise - ist vor allem eine Frage der Genauigkeit. Jede Geste, jedes Wort und die vielen kleinen Details, mit denen die Lebensverhältnisse der Figuren ins Bild gefasst werden, sind hier mit einer unaufdringlichen Präzision formuliert, die an der Glaubwürdigkeit keine Sekunde zweifeln lässt. Mühelos gelingt dabei der Brückenschlag zwischen persönlich-konkretem Drama und einem lebensphilosophischen Diskurs über das Vergangene, das mit aller Macht in die Gegenwart hineinwirkt und Veränderungen verhindert.

Martin Schwickert

F/I 2013 R&B: Asghar Farhadi K: Mahmoud Kalari D: Bérénice Bejo, Tahar Rahim, Ali Mosaffa 121 Min.