LET ME IN

Geschwister im Blut

Der zweitbeste Vampirfilm der Welt

Es ist Winter in New Mexiko, es ist 1983 und im Fernsehen redet Ronald Reagan über Gut und Böse und den amerikanischen Auftrag, gut zu sein. In den Bildern rasen Ambulanzfahrzeuge durch eine seltsame, gelblich beleuchtete aber tief verschneite Zwischenwelt, und viele nur im Anschnitt zu sehende Helfer ringen mit einem ebenfalls nur zu erahnenden Verletzten. Wenn dann endlich Dialog kommt, wird er leise geflüstert, weil wir in einem Krankenhaus sind, am Bett des scheinbar schwer Zerstörten - und ein Ermittler fragt direkt in die Kamera, also irgendwie auch uns: "Sind Sie ein Satanist?"

Regisseur Matt Reeves will sich nach Cloverfield offensichtlich als Meister des Unsichtbaren etablieren. Fast immer guckt die Kamera am Fokus der Aufmerksamkeit vorbei, versteckt den platten Effekt in der leise den Nacken hinaufkriechenden Vorstellung, dass hier etwas Außerordentliches passiert.

Dabei ist es eigentlich nur das bisher beste amerikanische Remake eines kaum ins Kino gekommenen europäischen Films. Reeves schrieb zwar den schwedischen Geheimtipp So finster die Nacht von Thomas Alfredson nach dem Roman von John Ajvide Lindquist moderat auf Amerika um, vermied aber fast alle Trivialisierungen, die sonst Remakes regelmäßig zur Enttäuschung machen. Ergebnis: Kein großer Verleih traute sich da ran, bis zum deutschen Kinostart dauerte es über ein Jahr.

Ein zwölfjähriger schmächtiger Junge, leidend an zerrütteter Eltern-Ehe und unter brutalen Schulhänseleien, lernt ein seltsames neues Mädchen in seinem Wohnblock kennen. Das läuft auch im Schnee immer barfuß, riecht seltsam, geht nicht zur Schule, ist tagsüber nie zu sehen und sagt manchmal faszinierend rätselhafte Sachen wie "Wir können keine Freunde sein" oder "Ich bin kein Mädchen".

Hier hat Matt Reeves eine tiefe Verstörung aus dem Original entfernt, um sein Publikum nicht zu überfordern. Das zuckt noch genug, wenn sich bald herausstellt, dass das süße Ding ein blutsaufendes Wesen ist, das wider seine Natur versucht, ein normales Verhältnis mit dem Nachbarsjungen aufzubauen. Dass das schief gehen wird, ist von Beginn an klar, weil die Haupthandlung zwei Wochen vor der Exposition spielt. Wenn sie sie aber erreicht, geht es ganz anders weiter, als in den zur Zeit üblichen Vampir-Schmonzetten. Let Me In spielt im Titel darauf an, dass Vampire die Behausung von Menschen nur betreten dürfen, wenn man sie herein bittet. In einer der schönsten Szenen steht der Junge, der inzwischen Bescheid weiß, vor der Tür der Nachbarin, klopft und sagt "Lass mich rein".

Wer diesen Film verpasst, darf in Vampirfragen nicht mehr mitreden. Wer ihn aber sieht, muss versprechen, nach dem schwedischen Original zu suchen. Jede Nacht, in der es in der Nebenwohnung so komisch rumort und immer wenn im Viertel ein ungeklärter Todesfall eintritt.

Wing

USA, GB 2010. R: Matt Reeves B: Matt Reeves, John Ajvide Lindqvist K: Greig Fraser D: Chloe Moretz, Kodi Smit-McPhee, Richard Jenkins, Elias Koteas, Sasha Barrese