EIN LETZTER KUSS

Keine schöne Welt

Das Leben ist mit Ende 20 schon vorbei ...

Die wohlstands-genährten Endzwanziger plagen überall dieselben Probleme: Die Illusionen sind zerschellt, die Träume entsorgt und der Konsum ist befriedigt. Der grosse Frust bleibt Dauergast in blauen Stunden. Entweder hat man eine Beziehung und ist unglücklich oder man hat keine Beziehung und ist auch unglücklich. Keine schöne Welt, die Ein letzter Kuss vor der Kulisse eines modernen Roms zeichnet. Für Carlo (Stefano Accorsi) läuft es zu glatt. Er ist fast Dreissig, fast Vater - und fast Gefangener, wie er glaubt. Seine schwangere Freundin Giulia (Giovanna Mezzogiorno) umhegt ihn mit kullergrossen Augen und zarten Streicheleinheiten. Wo ist das Kribbeln der Jugend? Carlo entdeckt es wieder, als er sich kopfüber in eine 18-jährige verschiesst. "Wir sind keine zwanzig mehr, aber auch noch keine vierzig", resümiert einer seiner besten Freunde und will den Ausbruch aus der Mitte wagen. Paolo (Claudia Santamaria) hat keine Beziehung mehr, einen schwerkranken Vater und ein echtes Problem mit Eifersucht. Um alles hinter sich zu lassen, will er nach Afrika fliehen.
Nicht nur Paolo und Carlo tragen emotionale Bürden mit sich herum. Regisseur und Drehbuchautor Gabriele Muccino malt ein männliches Generationen-Gemälde, indem sich so gut wie alle Protagonisten am anderen Geschlecht abarbeiten. Adriano steht im Konflikt zwischen der Liebe zu seinem Sohn und der Indifferenz zu seiner Frau. Alberto hält sich mit Promiskuität auf Abstand zu jeglicher Bindung.
Alle vier Männer verbindet dieselbe Frage: Wo bleibt das Abenteuer? Weil die Perspektive eine sehr männliche und die Umgebung eine sehr machistische ist, heisst die Antwort: Keine Ahnung, aber unsere Schuld ist es nicht - die Frauen sind schuld! So rennt Carlo von seiner gehörnten Freundin zur neuen Flamme mit dem herausgebrülltem Satz: "Du hast es so gewollt!" Logik fürwahr. Aber es sind nicht nur die Jungen, die sich hier quälen. Auch Giulias Eltern erleben gerade die grösste Krise ihrer Ehe. Der Grund freilich, der ist derselbe: die Nichtakzeptanz des Alters, die Unfähigkeit reif zu sein und die ständige Sehnsucht nach der verlorenen Jugend.
Insofern gelingt Muccino ein sehr europäischer Schauspieler-Film, in dem der Finger auf die Wunde einer übersättigten Gesellschaft gelegt wird. Musik, Kamera und Geschichte sind sehr gut aufeinander abgestimmt und überzeugten schon das italienische Publikum. Dort spielte Ein letzter Kuss das zweitbeste Ergebnis des Jahres 2001 ein. Sieht man über manche objekt-lastige Darstellung der Frauen hinweg, entfaltet sich hier ein hübscher Reigen neurotischer Gross-Städter.

Ulf Lippitz

L'Ultimo Bacio I 2001, R&B: Gabriele Muccino. K: Marcello Montarsi, D: Stefano Accorsi, Giovanna Mezzogiorno, Stefania Sandrelli