Die Liebenden

Treu und traurig

Eine ungewöhnliche Gefühlsmischung mit Musik zwischen Melodram und Komödie

Meine Mutter war ein Hure" sagt Véra (Chiara Mastroianni) zu Beginn aus dem Off, und in ihrer Stimme klingt keinerlei moralische Verurteilung, vielleicht sogar ein wenig Stolz. Eher zufällig wird die Schuhverkäuferin Madeleine (Ludivine Sagnier) im Paris der sechziger Jahre zur Nebenerwerbsprostituierten. Als sie in den geklauten nagelneuen Stöckelschuhen stolz nach Hause schreitet, wird sie von einem Mann versehentlich für ein käufliches Mädchen gehalten und lässt sich auf das Angebot ein.

Eines Tages nimmt der junge tschechische Arzt Jaromil (Rasha Bukvic) ihre Dienste in Anspruch, und es dauert nicht lange, bis sie sich in den stattlichen Freier verliebt und ihm sogar nach Prag folgt, wo das Paar eine Tochter bekommt. Als die Russen in Prag einmarschieren und sich Jaromil schon längst mit einer anderen im Bett vergnügt, kehrt Madeleine mit dem Kind nach Paris zurück. Auch wenn sie dort den schmucken und soliden Gendarmen François (Guillaume Denaiffe) heiratet, taucht der tschechische Ex-Mann über die Jahrzehnte immer wieder auf - und Madeleine verfällt ihm bis ins hohe Alter hinein stets aufs Neue.

Während Madeleine selbst als Dame im fortgeschrittenen Alter (Catherine Deneuve) ein Kind der libertären Sechziger und eine glücklich unglückliche Liebende bleibt, ist ihre Tochter Véra ein Produkt der Achtziger, in denen mit dem Aufkommen von AIDS die Liebe ihre Unbeschwertheit verloren hat. Auch Vèra lässt sich durchs Leben treiben, kann sich aber auf keine feste Beziehung einlassen.

Einerseits wird hier die Leichtigkeit, mit der die Elterngeneration in den Sechzigern sich in der Liebe ausprobiert hat, der Beziehungsunfähigkeit der Kinder des AIDS-Zeitalters gegenübergestellt, für die Liebe, Angst und Tod eng beieinander liegen. Andererseits zeigt Christophe Honoré auch, wie sehr die Töchter, die versuchen sich von der Lebensweise der Mütter abzugrenzen, deren Liebesverhaltensmuster unbewusst wiederholen. Dass es in der Welt immer Liebende und Geliebte gibt und es nur wenigen Menschen vergönnt ist, in beiden Rollen aufzugehen, ist die bittersüße Erkenntnis des Films.

Diese emotionale Reise führt durch die Dekaden, vom Prager Frühling bis zu Nine Eleven, von Paris und London bis nach Montreal, versetzt mit einer Reihe von Chansons, die in Musicalmanier dargeboten werden. Federleichtes Lebensgefühle und schwermütige Momente liegen hier sehr dicht beieinander, wobei die Geschichte mit 135 Filmminuten deutlich überdimensioniert ist und viel zu stark auserzählt wird.

Martin Schwickert

Les Bien-aimes F/GB/CZ 2011 R&B: Christophe Honoré K: Rémy Chevrin D: Catherine Deneuve,Ludivine Sagnier, Chiara Mastroianni