Like Someone in Love

Hundert Füße

Eine langsame Nacht in Tokyo

Japaner sind komische Leute. Sie bauen ihre Ampeln quer über die Straße. Und erzählen seltsame Witze. Einer geht so: Zwei Hundertfüßler heiraten. Die Frau will mit dem Mann schlafen. Der aber ist betrunken und müde und bittet um Hilfe. Sag Schatz, welche Beine muss ich öffnen?

Das muss zum Brüllen lustig sein, aber Akiko versteht die Pointe nicht.

Und wir verstehen Akiko nicht. Sie ist eine schlechte Soziologiestudentin, die nebenbei in einem Escort-Service arbeitet, was sie aber vor ihrem eifersüchtigen Freund verbirgt. Derweil verbirgt Regisseur Abbas Kiarostami auch Akiko vor dem Zuschauer außerhalb des Bildes. Wir hören sie stockend mit dem Freund telefonieren, während um sie herum die Callgirls in Ausgehlaune durch die Bar wuseln. Nur kleinste Gesten deuten an, dass hier ein Chef die absolute Kontrolle hat. Schließlich gibt er sogar väterliche Beziehungstipps: Der Freund muss weg.

Später fährt Akiko scheinbar stundenlang schweigend im Taxi durch Tokyo, das sich leuchtend und spiegelnd über ihr Gesicht legt, während Anrufe auf der Mailbox andeuten, dass sie gerade ihre Großmutter versetzt, um einen Kunden zu besuchen. Der nun wieder ist ein 80-jähriger Professor, der Akiko anscheinend nur buchte, um sie zu bekochen und sich einen Abend lang wie ein Großvater mit seiner Enkelin zu fühlen. Den Witz erklärt er ihr aber nicht. Dafür zieht er das Telefon aus der Wand, damit sie ruhig schlafen kann. Am nächsten Tag treffen die beiden auf den eifersüchtigen Freund, fahren schon wieder lange durch die die Stadt, reden dieses und jenes, und nach 80 Minuten schläft der alte Mann am Steuer ein.

Es dauert dann aber noch eine halbe Stunde, in der Kiarostami mal eben vorführt, dass ihn die Geschichte, die tatsächlich zu einem Showdown führt, eigentlich gar nicht interessiert. Viel mehr Wert legt er auf sorgfältig arrangierte Bilder und geradezu hinterlistige Montagen. So reichte ihm etwa den Film über mehrmals ein Schnitt, um von der Haustür in die Wohnung zu kommen, Als aber der Professor auf einen Notruf Akikos reagiert, schlendern wir geradezu durch den Flur und ein langes Treppenhaus hinunter. Schritt für Schritt. Es entsteht kein Sog. Keine Pointe. Ella Fitzgerald singt den Titelsong zum Abspann und alle fühlen sich erschöpft.

Wing

J 2012. R + B: Abbas Kiarostami K: Katsumi Yanagijima D: Tadashi Okuno, Rin Takanashi, Ryô Kase