Lincoln

Einer gegen Alle

Steven Spielberg zeigt, wie Demokratie funktioniert: Mit Tricks und Bestechungen

Es ist das Jahr 1865, der Bürgerkrieg geht seinem Ende entgegen. Die Südstaaten wollen eine Delegation schicken, die über Frieden verhandelt. Abraham Lincoln, geliebt und gehasst und gerade für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, steht vor einem Triumph. Der Krieg, den viele nicht wollten (weil die Frage der Sklaverei und der Zentralmacht auch im Norden nicht so wichtig erschien, dass man deshalb einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen müsste), wird mit einem Sieg der Yankees enden. Der Süden will seine davonschwimmenden Felle retten.

Und Abraham Lincoln will die Abschaffung der Sklaverei als Dreizehnten Verfassungszusatz vom Kongress verabschieden lassen. Im Senat, wo seine Republikaner die Mehrheit haben, ist das Gesetzt bereits gebilligt worden. Im von Demokraten beherrschten Kongress droht es, wie vor zehn Monaten schon einmal, zu scheitern. Lincoln hat seine Gründe und nur ein sehr kurzes Zeitfenster, um dieses Gesetz durchzubringen. Er schickt seine Leute aus, um Stimmen zu kaufen.

Für diese an ein Politikseminar gemahnende Konfliktstellung braucht Spielbergs Lincoln zweieinhalb Stunden, die durchgehend spannend sind. Denn diesem Lincoln geht alles Gravitätisch-Pathetische vollkommen ab. Der Präsident erzählt Anekdoten (oft zum Überdruss seiner Umgebung), ist stur wie ein Maulesel, pflegt eine kräftige Sprache und hat so gar nichts Ikonenhaftes, wie es von einem US-Film über den in den USA beliebtesten Präsidenten nahe läge. Lincoln ist ein Kammerspiel vor großer Kulisse. In verrauchten Hinterzimmern und in dunklen Vorzimmern wird Politik gemacht. Es wird bestochen, gelogen (auch von Lincoln), getrickst. Und zu keiner Sekunde hat dieser Volksheilige Skrupel, für die rechte Sache mit unrechten Mitteln zu streiten.

Die Nebenhandlung, die von Lincolns Problemen mit seinem Sohn und seiner Frau erzählt, braucht Spielberg, damit sich nicht eine Dialogszene an die andere reiht, um uns zwischen Deklamationen und heftig geführten Parlamentsdebatten eine Atempause zu gönnen.

Die erstklassige Besetzung (Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt, James Spader, Hal Holbrook und Tommy Lee Jones) bietet Gewähr, dass die ausführlichen Szenen um Intrigen und Leidenschaft einen hohen Unterhaltungswert besitzen. Lincoln setzt dabei einiges an Kenntnissen der US-Geschichte voraus. Wer da nicht immer folgen kann, darf sich an kleinen, genialen Szenen erfreuen, in denen etwa ein müder, übernächtigter Lincoln nachts in eine Wolldecke geschlagen im Telegrafenraum sitzt und zwei Soldaten in aller Ruhe eine seiner Anekdoten erzählt. Lincoln ist, überraschend nach dem desaströs schlechten War Horse und dem albernen The Adventures of Tin Tin, einer von Spielbergs besten Filmen.

Thomas Friedrich

USA 2012 R: Steven Spielberg. B: Tony Kushner K: Janusz Kaminski D: Daniel Day-Lewis, Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt, James Spader, Tommy Lee Jones