LIEBE MICH, WENN DU DICH TRAUST


Poetische Kälte

Ein Paar verwettet sein Leben und seine Liebe

Die Blechdose aus Kindertagen wird für Sophie und Julien ein lebenslanger Begleiter. Darauf ist ein Karussell gemalt und genauso schnell und im Kreis bewegen sich die beiden durch ihr Leben.
Die Freundschaft der Kinder hat von Anfang an etwas von einer Verschwörung, die sich mit immer gewagteren Mutproben stets neu beweist. Schon als Achtjähriger löst Julien die Handbremse des vollbesetzten Schulbusses, um die Wette und damit auch die Blechbüchse zurück zu gewinnen. In Kindertagen richten sich die Wetten gegen die Außenwelt: dem Direktor vor den Schreibtisch pinkeln, das komplette Hochzeitsbüffet mit der Tischdecke herunterziehen oder auf der Beerdigung von Juliens Mutter La vie en rose singen.
Später, wenn die Hormone ins Spiel kommen, zielen die Mutproben auf gegenseitige Verletzung. Denn der Mut, sich ihre Liebe zu gestehen, fehlt den beiden Wettsüchtigen. Immer wieder versuchen sie voneinander los zu kommen, ein vernünftiges Leben mit Frau, Hund, Haus und Kindern zu führen, aber die Leidenschaft, die eigene heile Welt immer wieder neu zu dekonstruieren, ist übermächtig.
Romantik und Destruktion liegen dicht beieinander in Yann Samuells Kinodebüt. Oberflächlich betrachtet könnte der Film als Wiedergänger von Die fabelhafte Welt der Amelie durchgehen. Auch hier fliegt die Kamera durch die Lüfte, wird die Wirklichkeit von Traumvisionen durchdrungen, vermischt sich mit ihnen zu grellbunten Farbexperimenten, in die auch Zeichentricksequenzen hineingeschnitten werden.
Zweifellos nimmt der belgische Filmemacher den Stil Jean-Pierre Jeunet und den anderen neuen, französischen Surrealisten auf. Aber im Herzen ist "Liebe mich ..." grundlegend anders beschaffen als Jeunets Welterfolg. Amelie war die gute Fee des europäischen Kinos, die Kindfrau, die sich durch konsequente Realitätsflucht vor der Kälte der Wirklichkeit schützte. Sophie und Julien sind von dieser Kälte längst ergriffen und suchen nach dem ultimativen Kick, um ihre Herzen warm zu halten. Amelie bewahrte sich ihre Verletzlichkeit.
Das fatale Liebespaar in Samuells Film lebt und liebt die Verletzung und wird zum Opfer der eigenen Selbstinszenierung.
Dass diese beziehungsrealistische Hardware ummantelt von der lieblich-fantastischen Amelie-Optik serviert wird - jene Mischung aus Poesie und Zynismus verleiht Samuells vielversprechenden Kinodebüt seine unwiderstehliche innere und visuelle Spannkraft.

Martin Schwickert
Jeux dŽenfants. R&B: Yann Samuell K: Antoine Roch D: Guillaume Canet, Marion Cotillard