LOVE EXPOSURE

Näher, mein Gott

Eine japanische Liebestragikomödie zwischen Jesus und Unterwäsche

Shion Sonos Vierstunden-Epos über Liebe und Freaks erzählt eine Geschichte, die andere Filme mühelos in 90 Minuten untergebracht hätten. Dass trotzdem keine Sekunde Langeweile aufkommt, liegt an der intensiven Erzählweise eines Werks, das ständig wie improvisiert wirkt (und in nur drei Wochen gedreht wurde!) und in dem doch alles Kalkül ist.

Vordergründig geht es um den Sohn eines (nach dem Tod der Mutter spätberufenen) Priesters in Japan, der haufenweise Sünden begeht, damit sein Vater mit ihm redet. Denn Anfangs ist der Sohn ein wahrer Engel, ein Ausbund an Hilfsbereitschaft, was ihm nur verächtliche Blicke des Vaters einbringt, der genau weiß: Wir sind alle Sünder!

Also schließt sich Yu einer Jugendbande an und erlernt dort bald die Kunst der Upskirt-Fotografie (dafür muss man unbemerkt Mädchen "von unten" knipsen, also ein Foto der Unterwäche ergattern). Dafür gibt's vom Vater Dresche, was Yu glücklich macht. Love Exposure braucht sehr lange, um Yu auf der Straße seiner Großen Liebe begegnen zu lassen, die sozial leicht verwildeter Yoko, die gerade in einer Schlägerei mit einem Dutzend böser Jungs steckt, bei der Yu aushelfen kann.

Dass er dabei als Frau verkleidet ist und sich "Miss Scorpion" nennt, macht die folgende Liebesgeschichte sehr kompliziert und tragisch: Yoko, die alle Männer eklig findet, verliebt sich in Miss Scorpion. Yu hat jetzt ein ernsthaftes Problem.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt eines überschwänglich erzählten Films, der uns noch in die Welt finsterer Sekten entführen wird, Jahrestreffen von Porno-Freaks, Sonnenuntergänge, Bombenanschläge, Erektionsprobleme und ein kleiner grüner Wellensittich, der unvermittelt aus dem Dekoltee eines sterbenden Mädchen schlüpft.

Shion Sono, der mit Strange Circus und Suicide Circle sein Talent für sehr schräge Geschichten mehrfach unter Beweis gestellt hat, beteuert, dass die Kernelemente des Films auf wahren Begebenheiten beruhen, was man keine Sekunde glauben möchte. Und wie so oft in asiatischen Filmen, führt die Geschichte immer wieder zu Bildern, mit denen jeder westliche Film enden würde, weil man glaubt, dass diesem Bild, dieser Idee nichts mehr hinzuzufügen sei: Wenn die verhinderten Liebenden am Meer in den Sonnenuntergang wandern, sie gefesselt und traurig hinter ihm hertrottend, dann wäre das eigentlich ein trauriges Ende. Bei Shion Sono ist das nur ein überwältigendes Bild unter vielen. Direkt anschließend folgt eine Kastrationsszene, der sich der Held nur durch ein Bekenntnis zu Jesus entziehen kann - eine halbe Stunde lang sieht dann alles plötzlich aus wie bei Scientology. Love Exposure wirkt jederzeit wild und undiszipliniert. Bei allem Hang zum Grotesken macht es seine Helden nie lächerlich, es gibt Haufenweise herzzerreissende Szenen, Tränen, Verzweiflung, Freundschaft und Zuversicht. Love Exposure enthält mehr Leben als im Kino sonst zu besichtigen ist.

Thomas Friedrich

Ai no mukidashi J 2008. R & B: Shion Sono K: Souhei Tanigawa D: Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Ando