Lovely Louise

Symbionten

Ein leiser Film über eine etwas zu enge Mutter-Sohn-Beziehung

André ist Mitte 50 und wohnt mit seiner achtzigjährigen Mutter Louise zusammen, einer ehemaligen Schauspielerin. Er fährt sie ins Café oder ins Theater, begleitet sie zur Wassergymnastik, versorgt ihr Damenkränzchen mit Schnittchen und verdient auch noch als Taxifahrer das Geld. Kurz, in Andrés Leben spielt seine Mutter die Hauptrolle. Auch deshalb weil sie einst wegen ihm ihre Karriere als Schauspielerin in Hollywood aufgab, was Louise dann und wann erwähnt. Andrés einziges Hobby sind Modellflugzeuge, die er in seiner Garage zusammenbastelt und am Wochenende mit seinen Kumpels auf einem Flugplatz fliegen lässt. Die hübsche Steffi, an deren Wurstbude die Tüftler sich regelmäßig stärken, gefällt André sehr, und auch sie scheint ihn zu mögen. Aber er wagt es kaum, sie anzusprechen. Eines Tages taucht der Amerikaner Bill auf und behauptet, Louise sei seine Mutter. Das wird das symbiotische, ritualisierte Leben von André und Louise aus der Bahn werfen.

Nach ihrem letzten Film, dem viel gelobten aber auch sehr düsteren Tannöd, wollte die Schweizer Regisseurin Bettina Oberli unbedingt "etwas Leichteres" machen. Das Ergebnis ist Lovely Louise. Hier liegen Komik und Tragik sehr dicht beieinander. Oberli beweist, dass sie ein sehr gutes Gespür für komplexe Charaktere hat. Sie nimmt ihre Figuren ernst und führt sie nicht vor.

Da wäre etwa André, der kein lebensuntüchtiges Muttersöhnchen ist. Er führt im Grunde den Haushalt, liebt seine Mutter, meint aber auch, bei ihr eine Schuld abtragen zu müssen. Mit der Zeit ist er immer lethargischer geworden und hat sich mit der Situation arrangiert. Einzig sein Hobby deutet noch eine Sehnsucht nach Freiheit an. Erst durch Bill, den André zunächst als Bedrohung des Status quo ansieht, wird er wachgerüttelt und entdeckt, dass es da draußen eine ganze Welt gibt und wohl auch eine Frau für ihn.

Auf der anderen Seite ist Louise, die nur auf den ersten Blick eine dieser süßen aufmüpfigen und munteren älteren Damen ist, die man in Filmen mit älteren Menschen immer wieder gern sieht. Sie liebt noch immer den großen Auftritt, etwa wenn sie sich würdevoll und schick ins Sprüngli aufmacht. Dass sie alt geworden ist, kann sie nicht akzeptieren. Auch haben die Enttäuschungen und Rückschläge des Lebens sie bitter werden lassen. Hinter ihrer liebenswürdigen Fassade erweist sie sich als dominante und geschickte Manipulatorin. Visuell ist das schön eingefangen wenn Louise im rosa Kostüm das Haus verlässt, zu Hause jedoch ihren abgewetzten Morgenmantel trägt, der ihr inzwischen mehr entspricht.

Neben dem Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und der Sehnsucht nach Freiheit und Ausbruch geht es auch um Schein und Sein. Nahezu alle Figuren sind nicht das, was sie zu sein vorgeben. Das Leben, das sie führen, ist nicht das, das sie gerne führen würden. Lovely Louise ist ruhig inszeniert und sicher kein Film, der einen aufwühlt. Aber es ist auch dank der guten Darsteller ganz sicher ein lebensnaher Film, der einem manches zum Nachdenken gibt.

Olaf Kieser

D/CH/SP 2013 R: Bettina Oberli B: Bettina Oberli, Petra Volpe K: Stephane Kuthy D: Stefan Kurt, Annemarie Düringer, Stanley Townsend, Nina Proll. 91 Min.