»LOVERS«

Liebe halt

Eine provisorische Beziehung im Dogma-Stil

Dass DOGMA 95 nicht nur etwas für durchgeknallte Dänen ist, versucht nun der französische Film Lovers zu beweisen. Mit zünftig verwackelter Digital-Kamera folgt Regisseur Jean-Marc Barr einer typisch französischen Liebesgeschichte, die zunächst mehr an Godard erinnert als an Lars von Trier.
Die junge Pariser Buchhändlerin Jeanne (Elodie Bouchez) zögert nicht lange, als der charmante Dragan den Laden betritt, und offeriert ihm mit der Buchbestellung zugleich eine Verabredung. Dragan (Sergej Trifunovic) ist Künstler und aus dem ehemaligen Jugoslawien. Aus dem ersten Abend wird eine erste Nacht und schon bald eine große Liebe. Man kennt die Bilder: lange Winterspaziergänge an der Seine, tiefe Blicke in verqualmten Cafés, Kerzenscheinromantik in unaufgeräumten Wohnungen, heiße Küsse in schlecht beheizten Räumlichkeiten. Dazu gesellen sich später Eifersüchteleien und wachsende Besitzansprüche, kleine Dramen und große Versöhnungsszenen. Eine ganz normale Liebe eben. Als Jeanne und Dragan nach einem Fest mit jugoslawischen Freunden betrunken knutschend über die Straße schlendern, sagt eine freundliche Frauenstimme aus dem Off: "Es ist gefährlich, sich auf offener Straße zu küssen." Mit diesem Satz ist alle Normalität zu Ende. Dragan ergreift panikartig die Flucht, denn die freundliche Stimme gehört einer Polizistin, und Dragan hat, wie Jeanne nun erfahren muss, keine Aufenthaltsgenehmigung. Nach einer Nacht im Gefängnis steht fest, dass Dragan in drei Tagen abgeschoben werden soll.
Dragan beschließt unterzutauchen und zieht in Jeannes enge Wohnung ein. Mit der Sorglosigkeit der frisch Verliebten ist es nun vorbei. Unter dem Druck der möglichen Abschiebung kommen Differenzen klarer zum Vorschein. Jeanne, die bisher immer nur für sich selbst sorgen musste, fühlt sich von der Allgegenwart Dragans überfordert. Während sie Tag für Tag arbeiten geht, hängt Dragan in ihrer Wohnung und treibt mit dem Heizradiator die Stromrechnung in die Höhe. Dragan sei ein Kind des Kommunismus, belehrt ein Freund die genervte Jeanne einmal, und in Jugoslawien habe man den Strom nicht bezahlen müssen. Durch die existenzielle Abhängigkeit von seiner Geliebten versteigt sich Dragan immer häufiger in Macho-Allüren und Verlustängste. Trotzdem rauft man sich immer wieder zusammen, schließlich kann jeder Tag der letzte sein und mit dem Klingeln im Morgengrauen geht der Traum unweigerlich zuende.
Regiedebütant Jean-Marc Barr wurde als Schauspieler durch Luc Bessons Im Rausch der Tiefe bekannt, arbeitete mehrmals unter der Regie von Lars von Trier und kam auf diesem Weg zu den dänischen Dogmatikern. Was anfangs wie eine modische Attitüde zur Aufwertung einer gewöhnlichen Liebesgeschichte wirkt, wandelt sich schon bald zu einem schlüssigen Konzept. Die bewegliche Handkamera, die grobe digitale Bildqualität, der Verzicht auf künstliches Licht geben den Bildern einen unfertigen Charakter und sind zur Darstellung dieser provisorischen Liebesbeziehung in einem eher ärmlichen Ambiente bestens geeignet. Wie in den meisten DOGMA-Filmen so scheint sich auch in Lovers die Arbeit mit beweglicher Technik, reduzierter Crew und kurzer Drehzeit befreiend auf die Schauspieler ausgewirkt zu haben. Elodie Bouchez und Sergej Trifunovic loten die Widersprüche des ungleichen Paares überzeugend aus und tragen entscheidend dazu bei, dass Lovers zu einem erfrischend realistischen Liebesfilm wird, der sich vom derzeitigen Schnulzen-Mief wohltuend abhebt.

Martin Schwickert