1. MAI

Lieber nach Minden?

Drei Geschichten von Aufstand und Untergang kreuzen sich in Berlin

Am 1. Mai ist Kampftag der Autonomen, dann brennt Berlin (oder manchmal Hamburg) ein bisschen und der Bürger gruselt sich, wenn die Randale durch Kreuzberg tobt. Zur Vorbereitung auf den längst rituell erstarrten Karneval der Subkulturen drehten vier junge deutsche Regisseure einen Episodenfilm, der drei Geschichten am Rande des Spektakels erzählt. Alle mussten parallel in 24 Stunden spielen, alle mussten mehrere Cliffhanger-Stellen haben, um sie ineinander montieren zu können, und alle mussten Live-Aufnahmen von den Mai-Umzügen 2006 enthalten.

Jakob Ziemnicki etwa lässt einen traurigen Polizisten aus dem Umland anrücken, der immer nur an seine untreue Ehefrau und das nicht abbezahlte Reihenhaus denken kann. Lebensuntüchtig steht er in der Ordnungshüterfront herum, Punks zu verprügeln erscheint ihm keine angemessene Therapie, und lange dauert es, bis er seinen Kollegen in den Puff nebenan folgt. Später kommt er unter den Wasserwerfer der eigenen Leute und landet im Krankenhaus.

Sven Taddicken schickt einen 11jährigen Türkenjungen los, der den Krawalltag zum Erwachsenwerden benutzen will. Einen Bullen platt machen, das wäre was, dem älteren Bruder beweisen, dass man ein Mann ist!

Natürlich lernt er, dass Gewalt keine Lösung ist, aber vorher trifft er noch einen roten Opa, der auf seinem Hausaltar eine Flasche Bier aus der ersten revolutionären Supermarktplünderung 1987 stehen hat. So lernen wir, dass der Mai mehr ein Museum als eine Hoffnung ist. Am Ende sitzen schließlich beide im Krankenhaus.

Bei Carsten Ludwig und Jan-Christopher Glaser reisen zwei Jugendliche aus Minden zum Berliner Mai, um endlich mal einen drauf zu machen, um etwas Action in ihr zielloses Leben zu bringen. Sie landeiern in der großen Stadt herum, kriegen etwas Krach mit einer Türken-Gang, nippen am Abschaum und enden, das war der formale Plan des Story-Experiments, natürlich genau in dem selben Krankenhaus, wie die übrigen Helden.

Allerdings hat einer der beiden eine tragische Hintergrundgeschichte, die sich erst allmählich über sein Videotagebuch enthüllt. Damit gerät das Zusammenspiel der Episoden etwas in Wanken, die sonst recht dokumentarisch und ohne poetische Mätzchen davon erzählen, wie ihre Protagonisten einen Ausbruch versuchen und sich eine blutige Nase einhandeln. Plötzlich wird ein Schicksal so künstlich schwer, dass der Alltag der anderen Personen sein Gewicht verliert.

Es gibt Überschneidungen zwischen den Episoden, manchmal treten Figuren aus einer in der anderen auf, aber meistens laufen die Geschichten nebeneinander her.

Selbst am Ende, im Krankenhaus, formuliert der Film klugerweise keinen gemeinsamen Schluss.

Ist der 1. Mai ein Fall für die Notaufnahme? Kulminiert an diesem Datum nur die latente Aggression in uns allen? Sollen wir am nächsten 1. Mai lieber nach Minden statt nach Berlin fahren?

Wing

D 2008, R: Sven Taddicken, Carsten Ludwig, Jan-Christoph Glaser, Jakob Ziemnicki, B: Carsten Ludwig, Michael Proehl, Oliver Ziegenbalg, Jakob Ziemnicki, K: Daniela Knapp, Daniel Möller, Kolja Raschke, Daniel Schultz, D: Benjamin Höppner, Cemal Subasi, Jacob Matschenz, Ludwig Trepte