DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR MANESQUIER

Pantoffelhelden
Zwei Gauner lernen was von einander in Patrice Lecontes Kammerspiel

Fast unwirklich wirkt dieses Gesicht. Die Fahrtschatten der vorbeifliegenden Landschaft huschen über die gegerbte Haut. Die stechend blauen Augen blitzen im Gegenlicht der Herbstsonne auf und werden stilsicher zu schmalen Sehschlitzen zusammen gekniffen. Es ist nicht einfach, in einem französischen Regionalzug wie ein Westernheld auszusehen. Johnny Hallyday, der 60jährige Rock-Star, Schauspieler und letzte Cowboy des französischen Kinos gelingt es mühelos.
Patrice Leconte tut gut daran, die Kamera zu Beginn von Das zweite Leben des Monsieur Manesquier minutenlang auf seinem Gesicht ruhen zu lassen, um die Jahresringe darin zu zählen. Wenn der Fremde dann später, die Sporttasche lässig geschultert, durch die regennassen Straßen der Kleinstadt schreitet, wartet man unwillkürlich auf verheißungsvolle Mundharmonikaklänge aus dem Off.
Aber der erste Weg führt nicht in den Saloon, sondern in die Apotheke. Ein Macho mit Migräne? Da fangen die Brüche schon an. Und hier trifft Milan, der in dem beschaulichen Provinznest einen Banküberfall plant, auch auf den etwas kauzigen Monsieur Manesquier (Jean Rochefort). Der pensionierte Lehrer ist fast zwanzig Jahre älter und hat als unverheirateter Muttersohn ein weniger abenteuerliches Leben geführt.
Er lädt Milan auf ein Glas Wasser ein, um das Aspirin herunterzuspülen, und quartiert den Fremden in seinem geräumigen Haus ein.
Zwischen den beiden entspinnt sich eine unangestrengte Männerfreundschaft. Für Milan gehen die wilden Ganovenjahre langsam zu Ende und durch Manesquier hindurch blickt er in eine Zukunft, die für ihn keinen verdienten Ruhestand bereit hält. Der Alte wiederum sieht in dem Großstadtcowboy die verpassten Chancen seiner Jugend aufblitzen. Heimlich schleicht sich Manesquier ins Gästezimmer, zieht Milans Lederjacke über und sagt zu seinem Spiegelbild: I am Earp. Wyatt Earp. Fast schon verschämt bittet Milan seinen Gastgeber um ein Paar Pantoffeln. Denn zu Hausschuhen gehört ein zu Hause. Beides hat der alternde Drifter nie gehabt.
Während Milan die Bequemlichkeit von Filzpantoffeln schätzen lernt, kann Manesquier im Wald den Umgang mit einer Pistole üben. Nur ein paar Tage bleiben den beiden, um wenigstens die Ahnung eines zweiten Lebens zu leben. Denn dann wird zur gleichen Stunde, als Milan mit seinen Komplizen die Bank betritt, der alte Mann für einen Bypass in den Operationssaal geschoben.
Vielleicht wird Das zweite Leben des Monsieur Manesquier einmal ins Curriculum der Filmhochschulen aufgenommen. Als Beispiel dafür, wie man mit nur zwei Charakteren ein Universum eröffnen kann. Ohne ins Geschwätzige zu verfallen, lotet Leconte die Facetten seiner Figuren gründlich und mit filmischer Eleganz aus. Er erzählt von der Einsamkeit, der Melancholie und der Komik des Altwerdens und lässt dabei die schwächelnden Männerbilder des großbürgerlichen Intellektuellen und abenteuergeprüften Großstadtcowboys mit leiser Ironie aufeinanderprallen.
Maßgeschneidert sind die Rollen für Johnny Hallyday, dem äußerst ansehnlich verwitterten Rocker, und Jean Rochefort, dem großen alten Herrn des französischen Kinos, dem noch immer der Schalk im Nacken sitzt.

Martin Schwickert
L'homme du train F 2003 Rÿ: Patrice Leconte B: Claude Klotz K: Jean Marie Dreujou D: Johnny Hallyday, Jean Rochefort